Simon Lissner, 15.8.2024 – Erstveröffentlicht unter https://gruenealternative.de
Simon Lissner, 15.8.2024
Das Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie vom Juni 2023, lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Endlich ist der Vorwand da – grünes Licht für ungehemmte Aufrüstung und wahrlich – eine Lizenz zum Gelddrucken für die Rüstungsindustrie.
Sucht man Kritik an den wahnwitzigen Aufrüstungsplänen, sucht man weitgehend vergeblich. Die „Kritik“ der deutschen Medien beschränkt sich darauf, den Regierungsentwurf zur Errichtung einer dezidierten Kriegsindustrie vom Standpunkt des Militarismus zu kritisieren. Danach ist von allem was die – meist – Herren des ballernden Gewerbes wünschen, und bekommen sollen, noch zu wenig (z.B. Kreiszeitung, Feb. 2024).
Beachte. Es ist der Entwurf einer SPD-geführten Regierung, im Gefolge die GRÜNEN und natürlich, voll umfänglich zustimmend, auch die FDP. Weil trotz proppevoller Auftragsbücher die Kriegsproduktion nach Ansicht Habecks (Grüner Wirtschaftsminister) und Pistorius (SPD-Kriegsminister) nicht ausreichend in Schwung kommt, kommt nun der Vorschlag: „Die Bundesregierung um Robert Habeck und Boris Pistorius plant deshalb eine direkte Beteiligung an der Rüstungsindustrie.“ (MSN Portal, 8.8.24, Autor: Mark Simon Wolf).
Das allein wäre ja fast beruhigend, betrachtet man, wie unfähig zurzeit deutsche Staatsunternehmen nicht unbeträchtlicher Größe gemanagt werden. Aber: Der Plan ist viel zu gefährlich für irgendwelche Späße.
Der Vorwand für eine Aufrüstungsspirale und den Unfug einer angeblichen „Zeitenwende“ (Kanzler Scholz) die unsere Nachfahren noch weit ins 22 Jahrhundert belasten wird, ist der Ukraine-Krieg. Da dürfte der Ukraine Krieg, der für die Rechtfertigung einer Produktion so ziemlich jedes grausamen Mordwerkzeugs dient, so oder anders, beendet sein. Militaristen aller NATO-Länder werden nicht müde an die Dummheit der Menschheit zu appelieren: „Nach dem Krieg ist vor dem Krieg …“. Die Ausrufung einer „Zeitenwende“ ist geradezu Kerosin für die massive Aufrüstung zu kommenden Kriegen. Das ist die Weichenstellung für die künftigen Formen der Konfliktlösung. Dabei schreckt diese Bundesregierung nicht davor zurück, zunächst die neuerliche Stationierung atomwaffenfähiger Sprengkörper der USA zu befürworten, wie im Rahmen der Europäischen „Verteidigung“ den Bau eigener Atomwaffen zu diskutieren, (zum Beispiel: Deutschlandfunk v. 16.2024). Nachdem die SPD Politikerin Katarina Barley (SPD) neue europäische Atomwaffen ins Gespräch brachte, kommt aus den Koalitionsparteien lauwarme Kritik. Strack-Zimmermann meint eher, wie übrigens auch Hofreiter Toni von den GRÜNEN, da sei der zweite vor dem ersten Schritt getan. Erst müssen die Rüstungsanstrengungen Europas „koordiniert“ werden, was immer das heißen mag, dann ja was eigentlich dann? Dann schau’n mer ma‘. Frankreich und die Briten haben bereits Nuklearwaffen. Sicher können die da deutsche Unterstützung gebrauchen. Und Alt-Außenminister Fischer (noch oder ehem. Grüner?) schreckt nicht davor zurück, zum Atomwaffen-Lobbyisten zu mutieren: „Auf die Frage, ob zu der Abschreckung auch gehöre, dass Deutschland sich eigene Atomwaffen anschaffe, sagte er: »Das ist in der Tat die schwierigste Frage. Sollte die Bundesrepublik Atomwaffen besitzen? Nein. Europa? Ja. Die EU braucht eine eigene atomare Abschreckung.«“, (Der Spiegel v. 3.12.23). Natürlich ist auch für ihn „der Russe“ schuld.
Diese ganzen Überlegungen liegen zeitlich lange vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine (Februar 2022). Das ist einer der zahlreichen Hinweise, dass dieser Krieg der nun endlich vollumfänglich nutzbare Vorwand ist, kriegsbereitschaft in Europa zu generieren. In einem Beitrag der TAZ vom 5.12.2020 berichtet, der seinerzeitige GRÜNE Abgeordnete Tobias Lindner, Obmann im Verteidigungsausschuss, anlässlich GRÜNER Basisforderungen zum Abzug amerikanischer Atomwaffen (GA-Vorstandsmitglied K.W. Koch war daran vorneweg beteiligt) äußerte sich: „Als er Mitte November auf dem Podium des „Nato Talk“ sitzt, einer Konferenz der Bundesregierung mit Thinktanks und hochrangigen Militärs, lehnt er einen schnellen Abzug ab. Er wolle lieber dafür arbeiten, dass es „2030 oder 2035“ vielleicht ein „window of opportunity“ gebe, in dem man mit Russland über eine Reduzierung der Atomwaffen auf beiden Seiten reden könne. Der grüne Ex-Außenminister Joschka Fischer sagt an gleicher Stelle sogar: Auf die US-Atomwaffen dürfe Deutschland gar nicht verzichten.“. Die TAZ weiter: „Ein „window of opportunity“ im Jahr 2035, man würde jetzt gerne das Gesicht von Karl-Wilhelm Koch sehen.“. (Bestätigung für die Darstellung von U. Reitz, s.u.).
Ehemalige Bekenntnisse im Rahmen Europas, sich als „Friedensmacht“ zu positionieren, können vor dem Hintergrund dieses Entwurfes eines Strategiepapiers durchaus als alt-imperiale Drohung gelesen werden: „Unser bewährtes Koordinatensystem basiert auf europäischer Integration,
transatlantischer Partnerschaft und einer aktiven Rolle bei der gemeinsamen Gestaltung einer globalen Friedensordnung in den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen.“ (S. 2 Mitte). Nämlich: Frieden ist, wenn unsere Ordnung durchgesetzt ist und – bist du nicht willig, brauch ich Gewalt, dafür zeig ich schon mal die „Folterwerkzeuge“. Noch leicht verschämt aber unschwer zu entschlüsseln heisst es unter der Überschrift „Das sicherheits- und verteidigungspolitische Umfeld“ als homage an die „alternativlose Lage“ und damit notwendige „Realpolitik“: „Fortschritte in der Forschung und der Entwicklung neuer Technologien, wie z.B. in der Digitalisierung, im Bereich der Künstlichen Intelligenz, unbemannter Systeme, der Hyperschalltechnik, der Biotechnologien und der Cyberinstrumente, werden grundlegende Auswirkungen auf die sicherheits- und verteidigungs-relevanten Systeme der Zukunft haben. Damit sind auch Fragen nach dem möglichen Destabilisierungspotenzial und der Völkerrechtskonformität des
Einsatzes neuer Technologien in Waffensystemen verbunden. Auch die zivile und militärische Nutzung des Weltraums wird vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischen Veränderungen künftig an sicherheits- und verteidigungspolitischer Bedeutung weiter gewinnen.“ (ebd. S. 1). Natürlich stellt „man“ das nicht nur fest, natürlich will „man“ das auch „haben“. Sonst wäre es ja kein Strategiepapier. Also: Offenbar schreckt diese Bundesregierung und ihre „Ratgeber“ nicht vor der Entwicklung neuer biologischer Waffen zurück? Die sind jedenfalls dezidiert genannt, wie auch der Größenwahn, in „Weltraum gestützte Waffen“ zu investieren. Soviel zum Thema Lippenbekenntnis: Biowaffen und ihre Herstellung sind international geächtet und verboten. Aber: Bekanntlich gilt da wohl, legal, illegal, scheißegal. Auch diese Sozialdemokratisch-Grün-Liberale Bundesregierung ist dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten und sie lügt sich und uns nun nachträglich einen Begründungszusammenhang zusammen. Ich bin mit dem „Russen“ in „Berlin, der „gelben Gefahr“ (Übernahme des Motorradmarktes durch die Japaner“ aufgewachsen und musste auch nicht chinesisch lernen (die lernen fleissig Deutsch), deren Okkupation Europas/Deutschlands bereits im vergangenen Jahrhundert voraus gesagt wurde. Aber die Führer;innen der hochgerüstetsten Staaten des Planeten (USA, Deutschland, Frankreich, also die NATO-Staaten) erzählen uns unablässig und nun mit wachsender Begeisterung, dass „wir“ wieder „Kriegsfähig werden (?!) müssen“. Dabei führen „wir“ seit 1945 unablässig einen Krieg nach dem anderen, und haben nicht einen einzigen mit all den Waffenarsenalen verhindert, geschweige denn, die Welt der so „beglückten“ und mit Kriegen überzogenen Menschen, sei besser geworden.
Das Märchen von der „unimperialistischen Weltordnung“
Sich selbst in die Tasche lügen bringt’s in der Regel nicht. Der ganze Auftritt der SPD und Grünen Führung begründet sich damit, dass Deutschland/Europa und der Verbund der NATO angeblich „die Guten“ sind. Selbstgewiß wird ein unerschütterliches Selbstvertrauen zur Schau getragen, und mit den ja geradezu altruistisch anmutenden Zielen, letzten Endes jede dieser Ertüchtigungsschritte zu eine Kriegsindustrie gerechtfertigt. Man/frau mag zum Ukraine Krieg stehen, wie man/frau will. Aber um den geht es hinsichtlich der Dimension der angestrebten Ertüchtigung gar nicht. Vielmehr geht es ganz unaltruistisch darum: Wie werden die Rechtümer des Planeten künftig verteilt werden? Am besten so, wie die modernen Imperien Europa, USA, China, Indien, Russland – Afrika mit einer ausgesprochen jungen Bevölkerung wird sich noch zu Wort melden – künftig die Ressourcen verteilen wollen: Und da setzt „man“ zusehends auf Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Darauf soll sich Europa nun vorbereiten.
Kriegsursache „das Böse“ / „der Teufel Putin“?
Zweifellos ist richtig, dass Putin Aggressor in der Ukraine und an der beschriebenen Entwicklung ursächlich beteiligt ist. Aber „er“, also die Führer Russlands, ist/sind weder die ersten, noch die einzigen die zur Durchsetzung dessen, was sie für Interessen ihres Staates halten, Waffen sprechen liessen und lassen. Zweifellos ist auch richtig, dass kein freiheitlicher Mensch, freiheitlich nicht etwa im Sinne der Freiheit zur hemmungslosen Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, sondern im Sinne von Solidarität, Frieden, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Glück für alle Menschen auf dem Planeten, unter „putinschen“ Verhältnissen leben müssen sollte. Wie dem auch sei, trotz vielfältiger Bemühung einseitiger, um nicht zu sagen „alternativer Geschichtsschreibung“, hat die Sache eine weitere Seite. Der Focus-Korrespondent Ulrich Reitz erzählt am 6.8.24 eine etwas andere Geschichte unter der Überschrift „Baerbock und Scholz fühlen sich mächtig wichtig – die echten Deals machen andere„. Nun ist der Focus eher dem konservativ-bürgerlichen Journalismus verpflichtet. Neben der Bemerkung, dass der „altersschwache US-Präsident“ es doch tatsächlich geschafft hat, „Scholz“ im „persönlichen Gespräch“ davon zu übezeugen, im Zuge eines Gefangenenaustauschs den russischen Agenten und „Tiergartenmörder“ frei zulassen und damit den deutschen Rechtsstaat und seine Justiz zu düpieren, geht es in dem Artikel auch noch um das Thema des der beschleunigten Rüstungsspirale dienende Narrativ der „russischen Gefahr“. Da veröffentlicht also dieses konservativ-reaktionäre Blatt: „Was Baerbock – in einem Beitrag in der „Bild“-Zeitung – erzählte, ist allerdings nur die eine Version. Von Seiten der Russen und mit Blick auf die zeitlichen Zusammenhänge sieht es anders aus: „Nachdem die Amerikaner in Polen und Rumänien ein Nato-Raketenabwehrschild aufgebaut hatten, kündigte der damalige russische Präsident Medwedew – heute Putins Lautsprecher – die Stationierung der Iskander-Raketen in Kaliningrad an – das war 2008. Dann verhandelten Russen und Amerikaner – Motto: Verzichtet Washington auf den Abwehrschild in Polen und Rumänien, verzichtet Moskau auf die Iskander-Stationierung. Die Verhandlungen scheiterten, die Russen stationierten die Raketen in Kaliningrad. Das war 2013. Der außenpolitisch schwache demokratische Präsident Obama reagierte nicht. Danach kam Trump, und der kündigte schließlich für die USA 2019 den INF-Vertrag auf. “ (siehe dazu passend oben die Bestätigung dieser Darstellung durch den GRÜNEN Lindner, der „die Russen“ im Sinne des „window of opportunity“ bis 2035 „zappeln“ lassen wollte, statt sich für ein Endes des nukelaren Droh-Irsinns einzusetzen).
Die jung gebliebenen Älteren von uns fühlen sich da durchaus an die Kuba-Krise erinnert, die fast zu einem nuklearen Inferno geführt hätte. Die Jüngeren unter uns mögen da mal „googeln“. Unterschied zu damals: Kennedy und Chruschtschow einigten sich in allerletzter Sekunde. Die Dummheit, imperialer Größenwahn unserer „Helden“ heute, so interpretiere ich den Fokus Beitrag, kosten nun hundertausenden Menschen in der Ukraine ihr Leben, Gesundheit Hab und Gut – und sorgt für eine Eskalationsspirale ohne Gleichen in der Menschheitsgeschichte, deren Ende unabsehbar ist und die Welt in den Abgrund eines Dritten Weltkrieges zu stürzen droht. Das ist bittere Realität und da hilft auch nicht die ignorante Verleugnung imperialer Interessen des Westens, wie sie vornehmlich Frau Baerbock und Herr Scholz wie eine Monstranz vor sich hertragen, um mit dem Schuldfinger auf „böse Russen“ und „Chinesen“ zu weisen.
Zum Thema „Zeitenwende“ und „Deutschland Kriegstüchtig“ (Scholz/Pistorius 2023/24) machen empfehle ich das Hörspiel des Radio Frankfurt, 1947, Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit.
P.S.: Unter den Sprechern zwei unserer Vorfahren: Cajetan Freund und Erich Lissner