Am 9. Januar 1926 kommt, mit der Signierung des Vertragswerkes, eine Jahrzehntelange Arbeit für die soziale Absicherung von Journalisten und Redakteuren zu ihrem erfolgreichen Abschluss. CF nennt Emil Dovifat und Richter als die wichtigsten Mitstreiter. In der Umsetzung mussten nun die Redakteure und Verleger einbezogen werden, um zu verhindern, dass die Durchsetzung der Vereinbarungen durch die Einstellung von Nichtmitgliedern durch die Verleger nicht am Ende verhindert werden. Allerdings, die Veränderungen und die Einflussnahme durch das Regime waren enorm. Davon spricht CF ebenso, wie über persönliches (ausgebombt, 1944, Umzug, CF war da 72 Jahre).
Der Reichsverband hatte bestand, auch unter dem NS-Regime. Es übernahm den Vorsitz der bekennende Nazi Dr. Otto Dietrich, per Diktat und nicht per freier Wahl (wie es im Eintrag von Wikipedia heißt). Cajetan Freun (jun.) ebenfalls Journalist wir denunziert, sitzt einen Monat in U-Haft wurde aber freigesprochen. Allerdings wurde er aus der Berufsliste entfernt (Berufsverbot als Journalist).
Im Original beginnt der Abschnitt mit der Überschrift (BD-II-657-736)
Die Reichsarbeitsgemeinschaft der Deutschen Presse
Am 30. Dezember 1925 konnte in der kleinen Versicherungskommission zusammen mit den Direktoren der Versicherungsgesellschaften der Versicherungsvertrag endgültig festgelegt werden, und am 9. Januar 1926 war es soweit, dass das gesamte Vertragswerk dem Präsidium der B.A.G. zur letzten Beschlussfassung und zur Unterzeichnung vorgelegt werden konnte. Es war ein feierlicher Augenblick, als nach den harten Kämpfen so vieler Jahre endlich der offizielle Friedensschluss erfolgte, und ich gestehe, dass ich mit nicht geringer Genugtuung und Befriedigung und mit einem gewissen Stolz meinen Namen unter das Dokument setzte. Dem ganzen Komplex der Vereinbarungen und Verträge, die unter dem Namen zusammengefasst sind, ist die folgende Einleitung vorausgeschickt:
Das Vertragswerk der Reichsarbeitsgemeinschaft der Deutschen Presse
Der Abschluss der folgenden Vereinbarungen und Verträge stellt ein Werk dar, das die Reichsarbeitsgemeinschaft der Deutschen Presse in schwieriger und langwieriger Arbeit zustande gebracht hat. Die Einheit dieser Verträge soll – das ist die Absicht der vertragschließenden Verbände – das vertrauensvolle Zusammenarbeiten der Redakteure und Verleger zum Segen der deutschen Presse und zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dauernd sichern. Der Abschluss des Vertragswerkes soll der Ausgangspunkt einer fruchtbaren und vorbildlichen Arbeitsgemeinschaft sein. Die Reichsarbeitsgemeinschaft der Deutschen Presse und die Bezirksarbeitsgemeinschaften, welche die deutsche Presse nach innen und nach außen vertreten, werden darüber wachen, dass der Einheit des Vertragswerkes auch die innere und äußere Einigkeit der Träger der Reichsarbeitsgemeinschaft stets entspricht.
In diesem Geiste haben die vertragschließenden Verbände das Vertragswerk in Kraft gesetzt.
Berlin, den 9. Januar 1926, Reichsarbeitsgemeinschaft der Deutschen Presse[1], (Hier folgen die Unterschriften)
Für dieses große Werk in vorderster Front haben mitkämpfen zu dürfen bis zum Siege, dafür bin ich dem Schicksal dankbar. Und wenn ich mir mit und nach Dovifat[2] und Richter den größten Anteil an seinem Zustandekommen gutschreibe, so ist das keine unbescheidene Ruhmredigkeit, sondern es entspricht den Tatsachen. Über die allgemeine Bedeutung dieses unseres Werkes will ich selbst nichts sagen, sondern darüber das Versicherungslexikon von Alfred Manes[3], ein Standardwerk auf diesem Gebiete, sprechen lassen. In der dritten Auflage des Manes’schen Lexikons findet sich ein ausführlicher Artikel über „Redakteurversicherung“, in dem zunächst der Normaldienstvertrag und die Einrichtungen der Versorgungsanstalt der R.A.G. eingehend erläutert werden und in dem der Verfasser zum Schluss zu der folgenden Würdigung unserer Versicherung kommt:
„Damit ist eine berufliche Versicherung geschaffen worden, die in mancher Beziehung als ein Modell für die Regelung von Sozialversicherungsproblemen durch die Individualversicherung gelten kann. Es komm ihr daher über den Rahmen ihres Berufskreises eine methodische Bedeutung zu . . . Die Rechtsform, die hier geschaffen worden ist, die spezialisierte, nur mit der Versicherungsaufgabe betraute Anstalt, die als selbständiger Treuhänder zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer tritt, die höchstmögliche Individualisierung der Leistungen und Gegenleistungen einerseits und ihr sozialer Ausgleich durch abgesonderte Fonds für Alterszuschüsse, die Lösung des Freizügigkeitsproblems und des Beteiligungsproblems, endlich die Heranziehung der Arbeitgeber zur materiellen Sicherung eines geistigen Berufes, dessen Unsicherheit bisher sprichwörtlich war, diese Momente sichern dem Werk in vieler Beziehung den Charakter der Vorbildlichkeit.“
Was diese langen Jahre schwersten Kampfes für diejenigen, die seine Lasten zu tragen auf sich genommen hatten, an persönlichen Opfern bedeuteten, darüber haben sich die meisten der anderen nicht direkt daran beteiligten Kollegen wohl keine Gedanken gemacht. In jener Zeit des ersten Weltkrieges und namentlich in der Nachkriegs- und Inflationszeit in der Welt herumzureisen, war wahrhaftig alles andere nur kein Vergnügen, zumal wenn man, wie damals so viele, schon für sich mit familiären und geschäftlichen Sorgen hinreichend belastet war. Um die Dauer der Abwesenheit vom Dienste in der eigenen Redaktion soweit als irgend möglich abzukürzen, benutzte man in der Regel die Nacht zur Hin- und Rückfahrt. Im Schlafwagen oder selbst noch in der zweiten Klasse wäre das ja keine so große Strapaze gewesen. Aber um dem Reichsverband, um dessen Kasse es dazumal so wie so schlecht genug bestellt war, tunlichst geringe Kosten zu verursachen, fuhr man – ich wenigstens tat das – dritter Güte. Solche Nächte, nicht selten zwei hinter einander, auf den harten Bänken der heruntergewirtschafteten und verlotterten Wagen, die in der kalten Jahreszeit zumeist auch noch schlecht oder gar nicht geheizt waren, bedeuteten Opfer und keine kleinen umso mehr, als man am Tage darauf entweder anstrengende und verantwortungsvolle Verhandlungen oder nach der Rückkehr wieder einen auch nicht gerade leichten und einfachen Dienst in der Redaktion vor sich hatte. Und es gab Jahre, in denen ich beinahe jeden Monat einmal nach Berlin oder sonst wohin nach dem Norden unterwegs war. Da erinnere ich mich z. B., dass wir einmal im tiefsten Winter auf der Höhe des Jura zwischen Donauwörth und Treuchtlingen nächtlicherweile auf freier Strecke im Schnee stecken blieben und ein paar Stunden lang, bis Hilfe kam, elendiglich froren. Und doch gab es unvernünftige Kollegen, die nur Vergnügungsreisen in solchen Touren zu sehen vermochten und sie uns womöglich noch neideten. Wenn man nicht auch anderen einsichtsvolleren, verständnisvolleren Berufsgenossen begegnet wäre, hätte man bei solchem Unverstand oft am Liebsten den ganzen Krempel den Leuten vor die Füße geworfen. Aber der Gedanke, dass man um eine große Sache kämpfte, hielt einen doch schließlich immer wieder bei der Stange, obwohl es auch durchaus nicht an lockenden Versuchungen von Verlegerseite fehlte. Wurde mir doch mehr als einmal von Verlegern zu verstehen gegeben, dass ich es doch gar nicht nötig hätte, mich so sehr für die Berufskameraden einzusetzen, die es mir doch nicht dankten. Mir ginge es ja doch auch so nicht schlecht, und vielleicht ginge es mir ohne diese Betätigung sogar noch besser.
Übrigens blieb auch nach Abschluss des Vertragswerkes noch Mancherlei zu tun, um dieses voll zur Auswirkung zu bringen. Das Wichtigste war zunächst die Sicherung seiner Rechtswirksamkeit im ganzen Berufsbereich durch die Herbeiführung der Allgemeinverbindlichkeit. Damit erst wurde nicht nur für alle vertraglichen Verpflichtungen der Verleger uns gegenüber ein klagbarer Erfüllungsanspruch für alle Mitglieder des Reichsverbandes gegen alle Angehörigen des Arbeitgeberverbandes für das deutsche Zeitungsgewerbe geschaffen, sondern es wurden darüber hinaus alle Rechte und Pflichten aus dem Vertragswerk auch auf alle deutschen Redakteure und Verleger ausgedehnt, so dass keiner mehr sich ihnen zu entziehen in der Lage war, mochte er nun den Verbänden, die die Verträge geschlossen hatten, angehören oder nicht. Damit war also verhindert, dass Verleger durch Einstellung von Nichtmitgliedern unseres Verbandes die Verpflichtungen des Vertragswerkes illusorisch machen und dass Außenseiter unseres Berufes uns in den Rücken fallen oder Berufsfremde sich eindrängen konnten.
Bei unseren Bemühungen um eine möglichst rasche Erreichung der Allgemeinverbindlichkeit beim Reichsarbeitsministerium ging es natürlich wieder nicht ohne Schwierigkeiten und Verzögerungen ab. Auch das Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung hatte an unserem Versicherungsvertrag auszusetzen vor allem, weil das Verlangen der sozialdemokratischen Presse und ihrer Redakteure, nicht in das Vertragswerk einbezogen zu werden, und der Anspruch der Hauskassen der Verlage Girardet[4] und Du Mont-Schauberg[5] (Köln. Ztg.) auf Zulassung als Ersatzkassen das Amt bedenklich gemacht hatten. Aber auch diese Schwierigkeiten wurden überwunden. Das Reichsaufsichtsamt erstellte nach Preisgabe seiner Bedenken bereits Mitte März 1925 seine Genehmigung für unsere Versicherung, und die Allgemeinverbindlichkeitserklärung durch die Reichsarbeitsverwaltung erfolgte dann Anfang Juni mit Wirkung ab 1. Juni 1926. Nun stand das große Werk, das für die vertraglich Beteiligten bereits am 1. Februar 1926 zu laufen begonnen hatte, auf festem und gesichertem Rechtsboden. Es hat mit dem Reichsverband auch den Umbruch von 1933 überdauert und wirkte nahezu zwei Jahrzehnte segensreich für alle Berufsangehörigen.
Als eine Art von Kuriosität muss ich hier noch erwähnen, dass es nicht nur Verleger gab, die man zur Einhaltung ihrer rechtlichen Verpflichtungen gegen uns zwingen musste, sondern leider auch Kollegen, die wir erst durch Inanspruchnahme der Gerichte, durch Zwang also dazu bringen konnten, sich das Recht und die Wohltat der Alters- und Hinterbliebenen-Versorgung durch die dafür vorgesehenen Leistungen zu sichern. Um die Sache endgültig und grundsätzlich zur Entscheidung zu bringen, haben wir einen dieser Fälle sogar bis zum Reichsgerichte getrieben, das den obstinaten Kollegen Raison beibrachte. Wenn sie inzwischen nicht klüger geworden sind, werden sie heute vielleicht triumphieren darüber, dass unser Bestreben Dank Hitler ja nun doch so gut wie umsonst gewesen wäre. Aber es war nicht umsonst. Denn es ist schon vielen ein Segen gewesen und dass es, wenigstens als Gedanke, auch für zukünftige Redakteur-Generationen noch ein Segen sein kann und wird, das zeigt die Tatsache, dass die heutige Generation den Faden bereits dort wieder für sich aufgenommen hat, wo er uns aus den Händen gerissen wurde. Triumphgeheul wäre also nicht angebracht und wer es etwa trotzdem anstimmen möchte, den müsste man damit schon vor eine andere Tür verweisen, vor der es wie in einem Ozean untergehen würde in dem Millionenchor toter und lebender Opfer der zwölf Jahre Diktatur und des sechsjährigen Krieges.
Wir haben indes höchstrichterliche Instanzen nicht nur gegen halsstarrige Kollegen in ihrem eigenen Interesse angerufen, wir haben solche auch angerufen, wenn es galt, gegen uns feindliche Mächte für die Interessen der Kollegen im Allgemeinen zu kämpfen. Zum Beispiel als es darum ging, das Verlangen der Finanzämter abzuwehren, die die Verleger-Beiträge zur Versorgungsanstalt als Bestandteile des Redakteur-Einkommens besteuern wollten. Auch da sind wir bis zum Reichsfinanzhof gegangen und haben vor diesem ein obsiegendes Urteil erlangt. Danach sind der Kollegenschaft in ihrer Gesamtheit hohe Summen an Steuerleistungen erspart worden.
Etwa um die Mitte des Jahres 1941 hätte ich die erste und größere Hälfte dieses Kapitels mit dem Zustandekommen des Vertragswerkes zum Abschluss bringen können. Im Oktober des gleichen Jahres stellte ich mich auf Wunsch der Stadt München für den durch Einberufungen fast gänzlich verwaisten Informationsdienst zur Verfügung. Mehr als drei Jahre lang habe ich diese Tätigkeit ausgeübt, mit der die Herausgabe eines städtischen Nachrichtendienstes für die Presse und ein reger Verkehr mit dieser verbunden war, die also viel Verwandtes mit journalistischer Arbeit hat und daher auch zu ihrer sachgemäßen und zufriedenstellenden Erledigung journalistisches Fingerspitzengefühl erfordert. Die Betreuung dieses städtischen Amtes hat mich deshalb immer mit Genugtuung und Befriedigung erfüllt und hat mir in den bewegten und schweren Zeiten des Krieges, die mir und meiner Familie harte und bittere Opfer auferlegten, über Vieles leichter hinweggeholfen. Drei Söhne[6] und ein Schwiegersohn (alle schon über oder nahe an vierzig und mit Familie) standen unter den Waffen, und der erste Schlag traf uns bereits 1942 mit dem Heldentod des jüngsten Sohnes[7], der 35jährig als technischer Sonderführer (im Zivilberuf Maschineningenieur, techn. Reichsbahnoberinspektor und stv. Vorstand des Betriebswerkes München HB) vor Sewastopol[8] fiel. Ein paar Monate später wurde meine in Mainz[9] verheiratete jüngere Tochter[10] mit ihren Kindern vollständig ausgebombt und obdachlos. Bei den Angriffen im Juli 1944 auf München[11] wurde unsere eigene Wohnung so schwer beschädigt, dass nur noch Küche und Schlafzimmer notdürftig zu benutzen waren. Aber das alles mitsamt den mehr als ein Dutzend furchtbaren Angriffen, denen wir in München im Jahre 1944 ausgesetzt waren und die fast alles, was die Stadt einst in der Welt bekannt und berühmt gemacht hatte, vernichteten, haben wir hingenommen und getragen, so gut es ging. Als jedoch am 17. Dezember 1944 unser ganzes Hab und Gut zerstört und ich mit meiner Frau durch den Einsturz unseres Hauses ebenfalls obdachlos wurde und uns drei Wochen später bei unserer Schwiegertochter und unserer Enkelin in Schwabing, wo wir Zuflucht gefunden hatten, dasselbe Loos wiederum traf, da sah ich mich, da ich mit meinen 72 Jahren nicht allein in München bleiben konnte und mochte und eine zulängliche Unterkunft in München für uns beide nicht aufzutreiben war, zu meinem Leidwesen gezwungen, meinen Dienst bei der Stadt zu kündigen und zum Vater (?)[12] meiner Frau[13] zu ziehen, der damals in der Nähe des Starnberger Sees als Geistlicher amtierte und uns ein Zimmer vermietete.
Bei dem Brande und dem sich daraus ergebenden Zusammensturz des Hauses in München, in dem wir bis zum 17. Dezember 1944 gewohnt hatten, war auch eine wertvolle, zirka 5000 Bände umfassende Bibliothek meines ältesten Sohnes sowie meine eigene Bibliothek und mein Archiv mit dem umfangreichen Aktenmaterial vom Reichs- und Landesverband sowie der Reichs- und Landesarbeitsgemeinschaft verloren gegangen. Dieser Verlust erschwerte mir nach der dreijährigen Pause, in der mir der städtische Dienst keine Zeit mehr für private Arbeiten ließ, die Fortführung gerade dieses Teiles meiner Lebenserinnerungen ganz außerordentlich. Jedenfalls war sie in der Art und Weise, wie ich das Kapital über meine Arbeit für den Berufsstand angelegt und unter eingehender dokumentarischer Begründung systematisch aufgebaut hatte, nun nicht mehr möglich. Denn ich war nun lediglich auf mein Gedächtnis angewiesen, das mit dem zunehmenden Alter leider nicht besser geworden ist und musste mich deshalb in dem Folgenden zweiten Teil wesentlich kürzer halten.
Die zeitungswissenschaftlichen Institute und Lehrstühle
Die Absicht, die unsere Berufsorganisation mit der Schaffung zeitungswissenschaftlicher Institute und damit verbundener Lehrstühle an Hochschulen verfolgte, ging vor allem dahin, den Angehörigen des Tagesschrifttums die feste Grundlage einer vorgeschriebenen akademischen Bildung zu geben und damit gleichzeitig ihr Ansehen in der Öffentlichkeit durch die Gleichstellung mit den anderen akademischen Berufen zu heben. Das schon existierende Bücher’sche Institut in Leipzig entsprach, so vorzüglich es an sich Dank Büchers[14] Persönlichkeit sein mochte, doch nicht ganz dem, was wir im Sinne hatten. Als Vorsitzender der bayerischen Berufsorganisation war ich bestrebt, das erste Institut der von uns gedachten Art nach München zu bringen. Unsere Bemühungen in dieser Richtung, die natürlich auch auf die gleichzeitige Errichtung einer mit der Institutsleitung verbundene Dozentur für Zeitungswissenschaft an der Universität hinausliefen, setzten schon im Jahre 1920 mit einer Vorstellung beim bayerischen Kultusministerium und den anderen in Betracht kommenden Stellen ein. Bayern war damit die Möglichkeit geboten, eine Vorzugsstellung auf dem Gebiete der Zeitungswissenschaft insofern für sich herauszubilden, als das Münchener Institut das erste und zunächst einzige geworden wäre, das im Benehmen mit den Presseorganisationen (und zwar sowohl der der Redakteure wie der der Verleger) und mit deren Unterstützung zu begründen gedacht war. Die hinterhältige Art, wie auch hier wieder das Zentrum bzw. die Bayerische Volkspartei das eigene Süppchen kochte, verhinderte das. Die zuständigen Stellen – Regierung, Landtag und Universität – ließen es zwar nicht an zu nichts verpflichtenden schönen Worten fehlen, aber darüber hinaus kam die Sache nicht vom Fleck. Es passte diesen Stellen nicht, dass wir hinsichtlich der Besetzung des Postens des Institutsleiters auch einen gewissen Einfluss geltend machen wollten. Und die Person des von uns vorgeschlagenen früheren Chefredakteurs der „Münchener Neuesten Nachrichten“ Dr. Mohr war der Bayerischen Volkspartei nicht genehm, die ja an alle derartigen Dinge keinen sachlichen, sondern immer nur ihren eigenen Parteistandpunkt anzulegen gewohnt war. Für uns aber kam, sollte so, wie wir es planten, etwas geschaffen werden, was nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch für unsern Beruf von Nutzen und Bedeutung werden konnte, sehr viel, wenn nicht alles, darauf an, den richtigen Mann zu finden, von dem man die richtige Lösung der ihm gestellten Aufgabe erwarten durfte.
Gewitzigt durch die Erfahrungen bei der Besetzung des staatlichen Presseamtes und misstrauisch geworden durch das ewig hinhaltende und ausweichende Benehmen der bayerischen Regierung entschlossen wir uns endlich, nicht alles auf die eine bayerische Karte zu setzen, sondern auch anderweitig unsere Fehler auszustrecken. Das führte dazu, dass schließlich in Berlin der Plan in der von uns gewünschten Form feste, wenn auch einstweilen noch bescheidene Gestalt annahm. Später erfolgte dann dessen weiterer Ausbau und die Gründung des Heidelberger Instituts, das anfänglich unter ausschließlich verlegerischer Patronanz stand. Beide Institute wurden nach einiger Zeit der Betreuung durch die Reichsarbeitsgemeinschaft der Deutschen Presse unterstellt und erhielten von dieser jährliche finanzielle Zuschüsse, denen als Gegenleistung Sitze und Stimmen in den für die Institute gebildeten Verwaltungsräten und Kuratorien gegenüberstanden. In Berlin konnten wir d. h. der Reichsverband der Deutschen Presse nach dem Tode Dr. Mohrs auch wieder die Berufung des von uns bereits seit längerer Zeit in Aussicht genommenen Mannes aus unseren eigenen Reihen und, was für unsere Sache und ihre Festigung besonders wichtig war, die bald sich anschließende Umwandlung der Dozentur in eine Professur durchsetzen. Dieser unser Mann war der Kollege Dr. Emil Dovifat, der im Beruf zuletzt als Chefredakteur der Tageszeitung der Christlichen Gewerkschaften, „Der Deutsche“ tätig gewesen war und dann auf unser Drängen hin als erster Assistent des Berliner Institutsleiters Dr. Mohr[15] die wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen hatte. Er, der nicht nur in weitestem Umfang das nötige theoretische Rüstzeug für das Amt, sondern auch, woran uns besonders viel lag, eine durch vielseitige und langjährige Arbeit im Beruf erworbene praktische Erfahrung und eine weit über das Durchschnittsmaß hinausreichende und auf der Lehrkanzel beim Vorhandensein aller anderen Voraussetzungen doppelt wirksame Rednergabe mitbrachte, wirkte noch im Frühjahr 1945 zur Zeit, als ich dies niederschrieb, erfolgreich als Institutsleiter und Professor für Zeitungswissenschaften an der Universität Berlin.
In München hatte man d. h. die Regierung oder richtiger gesagt die Bayerische Volkspartei es, nachdem wir uns von dem dortigen Projekt distanziert hatten, nun auf einmal überaus eilig, ohne uns und auf eigene Faust das Unternehmen in Szene zu setzen. Als geeigneten Mann holte man sich aus Münster in Westfalen als Institutsleiter und Dozenten Dr. d’Ester[16] herbei. Als Ratgeber bei seiner Auswahl soll, wie mir jemand, der es wissen konnte, versicherte, der damalige Dekan der theologischen Fakultät in München ausschlaggebend mitgewirkt haben. Unter diesem wenig loyalen Vorgehen der bayerischen Regierung bei seiner Berufung hat Herr Dr. d’Ester und sein Verhältnis zu den geistigen Schöpfern der Presse und ihrer Berufsorganisationen stark gelitten, und es hat ihm seine Arbeit erheblich erschwert. Professor Dr. d’Ester hat das auch bitter empfunden und hat sich wiederholt an mich gewandt um Abhilfe. Ich konnte ihm nur sagen, dass er das allein der bayerischen Regierung zu verdanken hätte, die uns in so unerhörter Weise brüskierte, dass unsere Berufsorganisation daraufhin andere Wege habe einschlagen müssen. Wir hätten gegen seine (d’Esters) Person an sich gar nichts, aber eine Unterstützung des bayerischen Institutes – d’Ester hatte einen finanziellen Zuschuss für sein Institut erbeten – sei nach dem Geschehenen für unsere Berufsorganisation unmöglich, zumal wir bereits derartige Verpflichtungen zwei andern Instituten gegenüber übernommen hatten, bei denen uns dafür auch eine entsprechende Einflussnahme zugestanden sei.
Die Reichsarbeitsgemeinschaft der Deutschen Presse und ihre Unterorganisationen
Über Gründung und Wirken der Reichsarbeitsgemeinschaft der Deutschen Presse habe ich im ersten Teil dieses Kapitels bereits Mancherlei zu sagen Gelegenheit gehabt. Darüber hinaus ist die Spitzenorganisation der deutschen Presse seit ihrem Bestehen bis 1933 für die verschiedensten , Verleger und Redakteure gleichermaßen berührenden Belange der Presse in vielen Sitzungen des Präsidiums und des Vorstandes, durch Vorstellungen bei den obersten Reichsbehörden etc. tätig geworden. Gewissermaßen als Vollzugsorgane der Reichsarbeitsgemeinschaft wurden in Form von Landes- und Bezirksarbeitsgemeinschaften Unterorganisationen gebildet. In einigen Reichsteilen gab es solche bereits vor dem Inkrafttreten des Vertragswerkes aufgrund freier Vereinbarung von Verlegern und Redakteuren. Diese brauchten also nur den Anschluss an die Reichsarbeitsgemeinschaft aufzunehmen. Dort, wo am Sitze von Unterverbänden der beiden vertragschließenden Parteien keine bestanden, was meist der Fall war, wurde nun auf ihre baldige Bildung gedrungen, da die notwendige Überwachung des Vollzuges des Vertragswerkes und die Behandlung etwaiger Beschwerden darüber naturgemäß in erster Instanz diesen Unterorganisationen oblag und obliegen musste. So trat 1926 auch eine Landesarbeitsgemeinschaft der Bayerischen Presse ins Leben und entfaltete in kurzer Zeit eine sehr rege Wirksamkeit. Ihrer Zusammensetzung entsprechend wurden zu ihrer Leitung nach dem Vorbilde der Reichsarbeitsgemeinschaft zwei gleichberechtigte Vorsitzende, ein Verleger und ein Redakteur, gewählt. Auf unserer Seite haben die Kollegen auch dieses im Hinblick auf die besonders enge Zusammenarbeit mit den Verlegern nicht immer leichte Amt freundlicherweise wieder mir zugedacht. Schon gleich beim Ins Leben treten der Landesarbeitsgemeinschaft gab es eine ziemlich erregte Auseinandersetzung über die Frage, wer bei den Sitzungen der Arbeitsgemeinschaft den Vorsitz zu führen habe. Die Verlegervertreter erklärten es als selbstverständlich, dass das den Verlegern zukäme. Ich entgegnete ihnen, dass in dieser Sache gar nichts selbstverständlich sei, sondern dass, da sich hier zwei gleichberechtigte Parteien gegenüberstünden, infolgedessen auch beide die gleichen Ansprüche erheben könnten. Es könne höchstens darum gehen, wer zuerst, will sagen in der ersten Sitzung der Arbeitsgemeinschaft, mit der praktischen Ausübung des Vorsitzendenamtes betraut werden solle. Und darüber werde am besten das Loos entscheiden. Das Loos entschied dann auch tatsächlich und zwar zu unsern Gunsten. Und so geschah es zum großen Schmerz der Verleger, dass der Redakteur-Vorsitzende die erste Sitzung leitete und dann peinlich darüber wachte, dass der Turnus auch gewissenhaft eingehalten wurde und zwar nicht nur bei den geschäftlichen Sitzungen, sondern auch bei Repräsentationsveranstaltungen vor der Öffentlichkeit wie z. B. bei den regelmäßigen jährlichen Presseempfängen in den Räumen der ehemaligen Reichsratskammer, für die die Verleger ebenfalls wieder das von ihnen als selbstverständlich angesehene Erstgeburts- und Vorzugsrecht beanspruchen wollten. Von dem ersten derartigen Empfang, den der Landesverband der Bayerischen Presse 1924 noch für sich allein veranstaltet hatte, war schon die Rede. Die Verleger befanden die Art und Weise, wie wir diese Veranstaltung aufgezogen hatten, auch ihrerseits und weiterhin für gut. So gestalteten sich die nun unter der Ägide der Landesarbeitsgemeinschaft folgenden Empfänge im gleichen Stil und wurden bald zu einer von den Einladenden wie von den Gästen – den Spitzen der staatlichen und städtischen Behörden und des wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, künstlerischen und kirchlichen Lebens des Landes – begrüßten und angenehm empfundenen Tradition.
Solche repräsentative Veranstaltungen verursachten der Berufsorganisation begreiflicherweise nicht unerhebliche finanzielle Opfer. Es mag deshalb hier am Platze sein, einige grundsätzliche Worte zu sagen über Zweck und Nutzen von Repräsentationsausgaben, die von unverständigen und kurzsichtigen Kollegen oft angefochten und verurteilt wurden. Ich bin, wenn solche Anschauungen bei Reichsverbandstagungen oder gelegentlich auch im Landesverband und Ortsverein zum Ausdruck kamen, ihnen immer nachdrücklich entgegengetreten und habe dabei den Kollegen klarzumachen versucht, dass Repräsentationsausgaben am rechten Platz, für den richtigen Zweck und in einem den finanziellen Möglichkeiten angemessenen Rahmen sich für eine Berufsorganisation immer bezahlt machen. Was speziell die von uns veranstalteten Presseempfänge anlangt, so haben sie sich als ungemein förderlich und nutzbringend für das Ansehen der Presse im Allgemeinen und für das des Schriftleiters im Besonderen erwiesen, wofür die Beweise klar auf der Hand lagen und für jeden der Beteiligten, der nicht absichtlich die Augen verschloss, sichtbar waren. Von der großen Mehrheit sowohl auf der Verleger- wie auf der Schriftleiterseite wurde das auch als zutreffend anerkannt.
Weil ich gerade bei dem Thema „Repräsentationsausgaben“ bin, muss ich dazu noch auf eine Sache eingehen, die seinerzeit im Reichsverbande viel Staub aufgewirbelt hat, ich meine die Errichtung des Hauses der Deutschen Presse in Berlin. Die Verleger hatten sich dort in der Mathäikirchstraße ein eigenes Heim eingerichtet, in dem im Januar 1926 die feierliche Unterzeichnung des Vertragswerkes stattfand und in den folgenden Jahren zahlreiche Verhandlungen der Reichsarbeitsgemeinschaft sich abwickelten. Unserm guten Richter lag dieses Verlegerhaus, das Geschäfts- und Repräsentationszwecken gleichzeitig diente, schwer im Magen, und er sann unablässig darauf, wie etwas Ähnliches, aber noch Besseres auch für uns geschaffen werden könnte. Da das mit den normalen Mitteln des Reichsverbandes nicht möglich war, kam er auf die Idee, zur Flüssigmachung eines Teiles der notwendigen Gelder das Reich für den Gedanken zu erwärmen und einzuspannen sowie den noch fehlenden Teil aus einer sich uns bietenden geschäftlichen Transaktion auf dem Gebiete des modernen Nachrichtenwesens zu decken. Er hatte dabei mit sehr starken Widerständen im Reichsverband zu kämpfen, und auch sonst stieß er auf große Schwierigkeiten bei der Ausführung seines Planes. Aber seiner Energie und zähen Ausdauer in Dingen, die er sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, glückte doch auch diese große Aktion, deren Bedeutung nicht alle Kollegen in dem Maße zu würdigen wussten, wie sie es verdient und deren Scheitern unserm Ansehen einen schweren Stoß versetzt hätte, von den Verlegern aber ganz gewiss mit heller Schadenfreude begrüßt worden wäre. Denn ihnen war diese Sache ein besonders schmerzhafter Dorn im Auge. Das Reich gewährte erhebliche Zuschüsse, und durch den billigen An- und günstigen Weiterverkauf der Roselius’schen[17] Anteile an der Drahtfunk A.G. wurde der nötige Grund-Stock geschaffen. Im März 1930 konnte das Haus Tiergartenstraße 16 nach einem gründlichen Umbau und einer gediegenen inneren Ausgestaltung, zu der durch Stiftungen von verschiedenen Seiten z. B. von deutschen Städten manches Wertvolle beigesteuert wurde (die Stadt München hatte ein Winterstück, Marienplatz und Frauentürme vom Petersturm aus gesehen, von Lichtenberger geschenkt) seiner Bestimmung übergeben werden. So wie es nun geworden, machte es mit seiner weithin sichtbaren Inschrift „Haus der Deutschen Presse“ in dem vornehmen Tiergartenviertel einen ungemein repräsentativen Eindruck, und sein Wert wurde noch erhöht durch einen großen hinter dem Hause in beträchtlicher Tiefe sich erstreckenden Garten mit wundervollem alten Baumbestand, etwas im Zentrum von Berlin gar nicht hoch genug zu Veranschlagendes. Im Hochparterre luden ein Restaurant und weitläufige, einfach, aber solid ausgestattete Gesellschafts- und Repräsentationsräume zu Besuch und Verweilen ein. Auch ein Versammlungssaal für Veranstaltungen aller Art war vorhanden. Im ersten Stock und zum Teil auch noch in der Mansarde befanden sich die Büros des Reichsverbandes und ein größeres Sitzungszimmer für den Vorstand, während im Souterrain die Garderobenräume und die Wohnung des Hausverwalters untergebracht waren. Richter ist über dieser seiner, man kann schon sagen, großartigen Schöpfung leider zu Fall gekommen, weil er dabei mit einer Eigenmächtigkeit und Selbstherrlichkeit zu Werke gegangen war, die der Vorstand, der ja schließlich den Verbandsmitgliedern gegenüber die Verantwortung auf sich zu nehmen hatte, als über die Grenzen des Tragbaren hinausgehend nicht mehr hinnehmen zu dürfen glaubte. Aber man wird zur Entschuldigung Richters anführen dürfen, dass dieses sein Werk sehr wahrscheinlich nie zustande gekommen wäre, wenn er es anders angefangen hätte, als er es tat. Dass er dabei an sich einwandfrei und ohne irgendwelche eigennützige Nebenabsichten, sondern lediglich im Interesse des Reichsverbandes gehandelt, ist ihm später in einem Prozess gerichtlich bescheinigt worden, den er um die Auszahlung seines Ruhegehaltes mit dem nationalsozialistischen Reichsverbandsvorstand führen musste und gewann. Das Haus selbst war ohne jeden Zweifel eine Sache von größter Bedeutung für uns und für das Ansehen der Presse und des Schriftleiterstandes in der Öffentlichkeit. Wenn das unter der nationalsozialistischen Presseherrschaft nicht zur richtigen Wirkung kam, so war es nicht die Schuld Richters und auch nicht die Schuld des alten Reichsverbandes. Der nationalsozialistische Reichsverband hat sich im Übrigen in dem Hause recht wohl gefühlt, sowohl, dass bald bei gelegentlichen wüsten Gelagen, bei denen die notwendigerweise dabei gestiefelten und gespornten Herren in den schönen Räumen übel hausten, die mit so viel Mühe zusammengebrachte Einrichtung schwer beschädigt und zum Teil sogar ganz zerstört wurde. Im Kriege haben feindliche Bomben dann das Zerstörungswerk noch gründlicher besorgt.[18]
Die für den Verband erfolgreiche Wende des Falles Gerlich – Münchener Neueste Nachrichten
Der schwere Konflikt, in den der Landesverband der Bayerischen Presse mit dem Verlag der Münchener Neueste Nachrichten wegen des Vorgehens seines Chefredakteurs Dr. Gerlich gegen den Verband und wegen seines daraufhin erfolgten Ausschlusses aus der Berufsorganisation geraten war, war, als wir 1926 den ersten gemeinsamen Presseempfang qua Landesarbeitsgemeinschaft veranstalteten, noch nicht beigelegt. Einen gewissen und nicht geringen Erfolg hatten wir aber immerhin schon dadurch erzielt, dass uns nicht mehr die Gesamtheit der bayerischen Verlegerschaft und ihre Organisation, mit der wir ja nun in der Arbeitsgemeinschaft aufs Engste verbunden waren, gegenüberstand, dass also der Verlag der Münchener Neueste Nachrichten sich in seinem Kampfe gegen uns völlig isoliert sah. Aber er gab ihn einstweilen noch nicht auf, was schon darin zum Ausdruck kam, dass der Verlag der Münchener Neueste Nachrichten sich von dem Empfang der Landesarbeitsgemeinschaft fernhielt. Er suchte ihn vielmehr nach Möglichkeit zu sabotieren u. a. auch dadurch, dass er auf seine Redakteure einen Druck zum Wegbleiben ausübte. Einer der Verlagsdirektoren, Herr Pflaum[19], der bald darauf gestorben ist, konnte es sich aber doch nicht versagen, wenigstens im Vorbeigehen einige flüchtige Blicke in die Veranstaltungsräume zu werfen, und was er da sah und beobachten konnte, das beeindruckte den Mann offenbar ganz ungewöhnlich. Denn da ich mich bei seinem Erscheinen zufällig zum Empfang der Gäste am Eingang und ganz in der Nähe Pflaums befand, der mir persönlich wohl bekannt war, konnte ich deutlich hören, wie er sichtlich erregt seinem Erstaunen und dem Unmut darüber Luft machte, dass nicht auch die Münchener Neueste Nachrichten entsprechend ihrer ohne Zweifel immer noch gewichtigen Rolle in der Öffentlichkeit hier in die Erscheinung träten. Mit einem scharfen und energischen „Das muss anders werden!“ setzte er beim Verlassen des Schauplatzes den Schlusspunkt hinter seinen für mich sehr aufschlussreichen Monolog. Woraus zu entnehmen wäre, dass schon ein kurzer Blick in die glänzende Versammlung diesem Verlagsdirektor die Einsicht aufdämmern ließ, man habe es hier mit einer Sache von größter Bedeutung für die Presse zu tun, deren Ignorierung dem einzelnen Verlage ebenso wie dem Schriftleiter nur Nachteile verursachen würde. Tatsächlich haben die Münchener Neueste Nachrichten von da ab allmählich eingelenkt und ihren passiven Widerstand aufgegeben. Unsere Berufsorganisation aber hatte die Genugtuung, durch den Ausschluss des Dr. Gerlich[20] auch seinem Verlag gegenüber als der stärkere Faktor sich durchgesetzt zu haben. Ein anderer Verlagsdirektor der Münchener Neueste Nachrichten Herr Dr. Trefz hat mir um diese Zeit den Spitznamen „der Journalistenpapst“ aufgebracht, was von seiner Seite, obwohl er selbst aus dem Journalistenstande hervorgegangen, also ursprünglich einmal engerer Berufsgenosse gewesen war, doch wahrscheinlich nicht gerade freundlich gemeint gewesen sein dürfte, worüber ich ihm indes keineswegs böse war. Ließ die Verleihung dieses Prädikates doch immerhin erkennen, dass der „Journalistenpapst“ den Verlegern zwar unbequem war, ihnen aber doch eine gewisse Achtung abnötigte!
Nach einiger Zeit, damit es nicht so aussähe, als ob man ihn etwa gar des journalistischen Berufsorganisation als Opfer geschlachtet hätte, verschwand Herr Dr. Gerlich als Chefredakteur der Münchener Neueste Nachrichten ziemlich geräuschlos in seiner Versenkung. In Ansehung seines unglaublichen Verhaltens, das er als journalistischer Berufs- und Verbandsgenosse betätigt hatte, war dieses Schicksal nicht ganz unverdient. Von Seiten des Verlages der Münchener Neueste Nachrichten und der Verlegerschaft im Allgemeinen hätten seine zweifelhaften Heldentaten für sie ihn wohl einen besseren Dank erwarten lassen dürfen. Dank vom Hause Münchener Neueste Nachrichten! Offenbar war der Verlag der Münchener Neueste Nachrichten im Laufe der Jahre doch zu der Einsicht gelangt, dass der so überaus mundfertige Archivassessor trotz seiner liebedienerischen Geschäftigkeit für die Interessen der Verleger „am größten Zeitungsposten Bayerns“ doch einigermaßen fehl am Platze war.
Was der Verlag der Münchener Neueste Nachrichten beim Fall Gerlich und seiner Stellungnahme dazu sicherlich nicht in Rechnung gestellt hatte, war der negative Erfolg, der auch für ihn dabei herauskam. Denn mit dem Thron des Dr. Gerlich geriet auch sein eigener, der Thron der Firma Knorr und Hirth[21], nicht unbedenklich ins Wanken. Dieser Verlag hatte es in der Zeit zwischen 1870 und 1914 verstanden, in München eine Art Pressemonopol für sein Blatt, die Neuesten Nachrichten zu schaffen. Dieses Monopol trat in Erscheinung einmal dadurch, dass ihre Anzeigen-„Plantage“, wie die Leute das nannten, aufs Üppigste blühte und gedieh, während die anderen Blätter sich mit den verhältnismäßig bescheidenen, ja zum Teil ganz mageren Brocken begnügen mussten, die vom Tische der Reichen d. h. der Neuesten Nachrichten für sie abfielen. Dabei hatten die Neuesten Nachrichten eines der einträglichsten Gebiete des Anzeigenwesens, die sog. Kleinen Anzeigen, sich unter Ausschluss fast der ganzen übrigen Presse zu reservieren gewusst. Dagegen vermochte nichts und niemand aufzukommen, weil die gesamte Münchner Geschäftswelt, auch wenn sie politisch oder sonst wie mit der kautschukartig dehnbaren Haltung des textlichen Inhaltes ihres Leib- und Magenblattes ganz und gar nicht einverstanden waren, und die übrigen Angehörigen des Münchener Spießertums, die zwar ebenso wie die meisten Geschäftsleute über die Zeitung weidlich schimpften, doch alle mit einem resignierenden „Mir brauchans hoit“ sich willig dieser Tyrannei fügten. Was hat sich die Zentrums- und die sozialdemokratische Presse für eine Mühe gegeben, die Tyrannis der Schwester vom Färbergraben zu brechen! Es nutzte ihnen alles nichts. Die Verlegerfamilien Knorr und Hirth waren auf solche Weise schnell reiche Leute geworden, die ihren Reichtum aber klug benutzten, um große Häuser zu machen und dadurch alle einflussreichen Kreise zu gewinnen und an sich zu fesseln. Auf geistigem Gebiete war es Dr. Georg Hirth, der die gebildete Welt Münchens zumal die schriftstellerische und künstlerische um sich zu sammeln und mit Erfolg in seinem Sinne und in seinem Interesse zu bearbeiten sich bemühte. Die Schriftleitung der Münchener Neueste Nachrichten stand völlig unter seinem Banne und seiner Direktive, und im Münchner Journalisten- und Schriftstellerverein, der seit seiner Gründung bis ins 20. Jahrhundert hinein mehr oder minder nichts anderes war als ein Organ und Werkzeug der Neuesten Nachrichten, war Dr. Georg Hirth der tonangebende Mann.
Es konnte in München zu jener Zeit irgendeine bedeutende Aktion in der oder durch die Presse nicht vor sich gehen ohne die Neuesten Nachrichten an der Spitze. Das war auch noch bei der Gründung unserer Berufsorganisation im Jahre 1910/11 so, so dass auch hier die Neuesten Nachrichten zunächst noch die erste Violine spielen konnte, indem nach eingewurzelter Gewohnheit ihr Chefredakteur Dr. Mohr zur Leitung der Landesorganisation berufen wurde, die anfänglich diesen Titel allerdings in der Hauptsache nur auf dem Papier führte, in Wahrheit aber mit mehr als vier Fünftel aller Mitglieder allein auf München sich stützen konnte und musste. Als aber Dr. Mohr im Jahre 1915 mit Krach aus den Neuesten Nachrichten ausschied und nach Berlin ging, da wurde auf den Rat und die eifrigen Bemühungen des damaligen zweiten Vorsitzenden des Landesverbandes, des Chefredakteurs der Münchner Post und bekannten bayerischen Landtagsabgeordneten Adolf Müller, meine Wenigkeit anstelle Dr. Mohrs zum ersten Vorsitzenden des Landesverbandes gewählt und damit eine schon traditionell und selbstverständlich gewordene Übung, dass in allen Pressedingen die Führung allein den Neuesten Nachrichten gebühre, zum ersten Male durchbrochen. Und sie blieb durchbrochen. Denn seitdem haben zwar einige Male Schriftleiter der Neuesten Nachrichten im Ortsverein des Landesverbandes, dem Münchner Berufsjournalistenverein, an der Spitze gestanden, aber die Führung im Landesverband und die führende Vertretung Bayerns in den Reichsorganisationen der Presse blieb, soweit der Schriftleiterteil in Frage kam, seitdem in anderen Händen. Das ist, wie ich bestimmt weiß, vom Verlag der Münchener Neueste Nachrichten sehr missliebig empfunden worden, und der Verlag hat mehr als einmal seinen Einfluss auf die Schriftleitung aufgeboten und auch andere Hebel anzusetzen sich Mühe gegeben, um die alte Vorzugsstellung wieder zu erobern. Alle Liebesmüh war indes umsonst. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Kollegenschaft war inzwischen doch so wesentlich erstarkt, dass man bei der Wahl der führenden Männer der Berufsorganisation nicht mehr nach ihren Verlegern, sondern lediglich danach fragte, ob sie befähigt und in der Lage wären, die Berufsinteressen mit der gebotenen Entschiedenheit wahrzunehmen. Diese Niederlage dürfte dem Verlag der Münchener Neueste Nachrichten umso mehr an die Nieren gegangen sein, als gleichzeitig auch die Monopolstellung der Neuesten Nachrichten im Anzeigenwesen manche Erschütterungen erfuhr, wenn die zäh und ausdauernd dagegen angehenden Konkurrenten auch nur langsam und schrittweise vorankamen.
Das Pressemonopol der Münchener Neueste Nachrichten hat sich, solange und soweit seine Wirkung sich auch auf unsere Berufsorganisation erstreckte, für diese und ihren Ausbau als wenig förderlich, im Gegenteil vielfach und dauernd als ein Hindernis erwiesen. Eine meiner ersten Sorgen nach Übernahme des Vorsitzenden Amtes musste deshalb sein, den für eine Berufsorganisation, die das ganze Land Bayern umfassen sollte, auf die Dauer nicht halt- und tragbaren Zustand, dass von den außerhalb Münchens tätigen Berufskollegen nur ein sehr geringer Teil unserer Organisation angehörte, zu beseitigen. Das war keine leichte und einfache Aufgabe und kostete viel Anstrengung und Überredungskunst, weil gerade durch die Münchener Neueste Nachrichten, ihr anspruchsvolles und zuweilen auch anmaßendes Auftreten und ihre politische Haltung die Zentrumspresse abgestoßen worden war und die Kollegen dieser Richtung in München und draußen im Lande – und das war immerhin eine nicht unbeträchtliche Zahl – in ihrer überwiegenden Mehrheit einer Organisation unter Führung und Einfluss der Münchener Neueste Nachrichten nicht hatten angehören wollen. Nach dem Ausscheiden Dr. Mohrs und nach jahrelangen Bemühungen gelang es mir endlich, auch diese bislang abseits stehenden Kollegen zum Anschluss an die Organisation zu bewegen und so eine wirkliche Landesorganisation zu schaffen, welche die in unserm Beruf Tätigen zu mindestens 90 Prozent und darüber auch tatsächlich erfasste.
Eine der ernsthaftesten und bösartigsten Aktionen, die von den Münchener Neusten Nachrichten durch ihre Schriftleiter gegen den „Journalistenpapst“ unternommen wurde lief im Jahre 1930 vom Stapel. Aber auch sie führte nicht zum Ziel. In diesem Jahre fand die Jahrestagung des Reichsverbandes der Deutschen Presse zum dritten Male in München statt. Die zum Teil recht schwierigen Vorbereitungen und Vorarbeiten hierfür, deren Leitung mir als dem Landesvorsitzenden oblag, waren in vollem Gange und bereits weit fortgeschritten, als im April d. J. in der Hauptversammlung des Landesverbandes jener Vorstoß gegen mich erfolgte. Den Anlass dazu gab die Person des Ortsvereinsvorsitzenden. Das war der stv. Chefredakteur der „Bayerischen Staatszeitung“, ein Kollege, gegen den persönlich nicht das Mindeste einzuwenden war, der aber nach meinem und dem Gefühl nicht weniger anderer Verbandsmitglieder und den Proben, die er bisher schon gegeben hatte, seinem Posten als Vorsitzender des Ortsvereins nur unzureichend gewachsen war. Meine Bedenken in dieser Beziehung mehrten sich gerade in Ansehung der Münchner Reichsverbandstagung, bei der dem Ortsverein wichtige Aufgaben übertragen waren und sein Vorsitzender darum stark in den Vordergrund treten musste.
Ein Wechsel auf dem Posten erschien mir daher sowohl im Interesse des Ortsvereins wie des Landesverbandes als auch im allgemeinen Berufs- und Organisationsinteresse nicht nur wünschenswert, sondern dringend geboten. Aus der Tatsache, dass ich aus dieser meiner Anschauung in pflichtgemäßer Wahrnehmung der Verbandsinteressen kein Hehl machte, suchte man mir einen Strick zu drehen, indem man es so darstellte, als ob ich gegen den Kollegen von der Staatszeitung hinten herum intrigiert hätte. In der Hauptversammlung des Landesverbandes trat einer der Lokalredakteure der Neuesten Nachrichten als Diskussionsredner offen mit dieser Beschuldigung gegen mich hervor, und von einem noch sehr jugendlichen Kollegen der Staatszeitung wurde ihm in unschönster Weise und in rüdester Form sekundiert. Ich verwahrte mich zunächst gegen die mir an den Kopf geworfene Beschuldigung mit der Erklärung, dass der Kollege von den Neuesten Nachrichten bei seinem Angriff gegen mich unbedingt das Opfer eines Missverständnisses geworden sein müsse. Und als daraufhin der Wortführer der Neuesten Nachrichten ein ehrengerichtliches Verfahren gegen sich beantragte, erhob ich mich zu der kurzen, die Mehrheit der Versammlung angesichts der bevorstehenden Reichsverbandstagung in München offenkundig doch etwas überraschenden und beunruhigenden Erwiderung, dass ich mich nun gezwungen sähe, mein Amt als Vorsitzender des Landesverbandes niederzulegen und im Übrigen ebenfalls ein ehrengerichtliches Verfahren gegen mich zu beantragen. Wie schwankend und unsicher die Gefühle der Versammlung diesem Vorstoß aus der Ecke der Neuesten Nachrichten gegenüber waren, erhellt schon allein daraus, dass sie es nicht wagte, in diesem Augenblick die Wahl des neuen Vorstandes vorzunehmen, sondern diese zu vertagen und einer neuen Hauptversammlung vorzubehalten beschloss. Mir wurde auch noch die Genugtuung zu teil, dass zwei alte Kollegen, der Senior der Versammlung Dr. Sack, ein Jude, mit aller Entschiedenheit meiner Partei ergriffen, das Vorgehen gegen mich als einen Akt krassester Undankbarkeit anprangerten, vor einem Weiterschreiten auf diesem Wege, das sie auf keinen Fall mitmachen würden, eindringlich warnten und dem jungen Kollegen von der Staatszeitung, der sich so vorlaut gebärdet hatte, gehörig den Kopf wuschen.
Bis zur zweiten Versammlung des Landesverbandes stiegen dann die beiden ehrengerichtlichen Verfahren, deren Spruch dahin lautete, dass das Vorgehen des Kollegen von den Neuesten Nachrichten offenbar auf einem Missverständnis beruhe. In der bald darauffolgenden zweiten Landesverbandsversammlung vereinigte die Mehrheit ihre Stimmen bei der Wahl des ersten Vorsitzenden wieder auf meinen Namen. Ich hatte angesichts des Verhaltens der Kollegen von den Neuesten Nachrichten und einiger anderer durch geschäftliche Interessen mit den Münchener Neuesten Nachrichten Verbundener nicht übel Lust, diese Wahl trotz ihres für mich günstigen Ergebnisses abzulehnen, aber das energische Zureden von Kollegen, auf deren Stimme ich gerne hörte und auf deren Urteil ich viel gab, und die eigene reifliche Überlegung, dass meine Ablehnung in diesem Augenblick die allgemeinen Verbandsinteressen unter Umständen erheblich schädigen könnte, bewogen mich am Ende zur Annahme der Wahl. Der Reichsverbandsvorstand hatte mir inzwischen auf die Kunde von den Vorgängen in München bereits sein unbedingtes Vertrauen ausgesprochen und mich gebeten, nicht etwa auch an eine Niederlegung meiner Ämter in den Reichsorganisationen zu bedenken, sondern diese auf alle Fälle und ohne Rücksicht auf den Ausfall der Wahl in München auch weiterhin beizubehalten. Was statutarisch ohne weiteres möglich gewesen wäre, da die Wahl für diese Ämter eine rein persönliche Angelegenheit und ausschließlich Sache der Reichsverbands-Hauptversammlung war. Dem bayerischen Verband stand an sich keinerlei verbrieftes Recht auf ihre Besetzung zu, Bayern hatte ihre (nun schon 14 Jahre dauernde) Besetzung durch ein bayerisches Mitglied, nämlich durch mich, lediglich und allein dem Vertrauen der Kollegen im Reiche zu meiner Amtsführung zu danken. Durch die Wahl eines anderen Vorsitzenden im bayerischen Verband wären also aller Wahrscheinlichkeit nach starke Gegensätze, was nur zum Nachteil Bayerns hätte ausschlagen können. Vom Reichsverband wurde mir bald darauf bei der Tagung im Juni 1930 auch noch eine besondere Aufmerksamkeit zu teil, indem mir anlässlich meiner 15jährigen Amtszeit als Vorsitzender des Landesverbandes (gleichzeitig 14 Jahre Mitvorsitzender im Reichsverband) im Rahmen eines feierlichen Aktes, dem nicht nur die Vertreter der Kollegenschaft aus dem ganzen Reiche, sondern auch alles, was im öffentlichen Leben Münchens eine Rolle spielte, beiwohnen, von meinem damaligen Mitvorsitzenden im Reichsverbande Georg Bernhard unter meiner Tätigkeit für den Verband würdigenden und anerkennenden Worte der Ehrenring des Reichsverbandes überreicht wurde.
Verfassungsreform und Ende des alten Reichsverbandes
Auf der Düsseldorfer Tagung in der zweiten Hälfte der 20er Jahre wurde auf Betreiben Richters, dessen Bestreben immer dahin ging, den Unterverbänden größeren Einfluss auf die Verbandsleitung in Berlin zu verschaffen und gleichzeitig deren Arbeitsfähigkeit und Arbeitseifer zu heben, eine Reform der Reichsverbandsverfassung beraten und beschlossen. Für die Durchführung dieses Werkes hatte sich Richter meiner Unterstützung versichert. Es ging dabei um eine zwar nicht umstürzende, aber doch ziemlich einschneidende Statutenänderung, durch die namentlich die Spitze des Verbandes wesentlich umgestaltet werden sollte und die eine gründliche Durcharbeitung des ganzen Reichsverbandsstatuts zur Voraussetzung hatte. In den Unterverbänden waren Strömungen für und wider die Reform vorhanden, und bei einer solchen Sachlage durfte man, sollte nicht ein Durcheinander heraufbeschworen werden, nicht die Vollversammlung des Verbandes mit den Vorarbeiten belasten, sondern musste diese einer Auswahl von Vertretern der Unterverbände überweisen mit der Auflage und dem Ziel, einen Entwurf zu fertigen, nötigenfalls auch einen oder mehrere Gegenentwürfe, über die dann die Vollversammlung endgültig entscheiden konnte. Nachdem schon vor der Düsseldorfer Tagung die Abgeordneten der Unterverbände in Frankfurt a. M. zusammengekommen waren und das ganze Reformwerk durchberaten hatten, jedoch ohne zu einer endgültigen Festlegung zu gelangen, traten diese am Spätnachmittag vor der Reichsverbandstagung in Düsseldorf erneut zusammen, und die Leitung hatte man, wie gewöhnlich bei solchen Anlässen, vertrauensvoll in meine Hand gelegt. Es war eine harte Nuss, die wir zu knacken hatten, aber nach 6stündiger Beratung, die sich bis über Mitternacht hinzog, gelang es, eine Einigung auf einen Entwurf zu erzielen, der am nächsten Tage zuerst dem Vorstand und darauf der Vollversammlung zur Annahme unterbreitet werden sollte.
Der wichtigste Punkt des Reformwerkes war, wie schon bemerkt, die grundlegende Umgestaltung der Reichsverbandsvorstandschaft. Bisher bildeten diese ein erster und ein zweiter Vorsitzender, drei stellvertretende Vorsitzende, ein Schatzmeister und eine entsprechende Anzahl von Beisitzern, bei denen auch die Unterverbände stärker zum Zuge kommen konnten, wenn das aus guten Gründen auch nicht im Statut ausdrücklich festgelegt war. Denn die Unterverbände hatten alle Sitz und Stimme in der Wahlkommission, die bei jedem Jahresverbandstag vor der Vorstandswahl zusammentrat, und konnten hier ihre Wünsche und Forderungen geltend machen. Da ferner Berlin der Sitz des Verbandes war und die Geschäfte von dort aus geführt werden mussten, war es eine logische Notwendigkeit, dass der erste Vorsitzende ebenfalls in Berlin seinen Wohnsitz haben müsste und ebenso eine Anzahl der übrigen Vorstandmitglieder z. B. der Schatzmeister, aus denen und dem ersten Vorsitzenden sich dann der Geschäftsführende Ausschuss zusammensetzte. Diesem hin wiederum oblag bezüglich der laufenden Geschäfte, soweit notwendig, die Beratung und Beschlussfassung. Damit war freilich ein kaum zu vermeidendes starkes Übergewicht Berlins in der Verhandlungsleitung von selbst gegeben. Um hier dem Reiche außerhalb Berlins einen billigen Ausgleich zu bieten, setzte die Verfassungsreform an die Stelle des bisherigen ersten und zweiten Vorsitzenden zwei gleichberechtigte Vorsitzende. Dass der bisherige zweite Vorsitzende nur ein Nicht-Berliner sein konnte, war zwar kein geschriebenes Gesetz, aber eine Selbstverständlichkeit. Man hielt es deshalb auch nicht für nötig, in der neuen Verfassung statutenmäßig festzulegen, dass der andere gleichberechtigte Vorsitzende nur ein Nicht-Berliner sein dürfe, sondern man begnügte sich damit, weiterhin die Selbstverständlichkeit walten zu lassen. Durch die Gleichstellung der beiden Vorsitzenden in ihren Rechten sollte jedoch zum Ausdruck kommen, dass Berlin zwar die Führung der Geschäfte in der Hand behalten müsse, weil es eben nicht gut anders ginge, dass aber im Übrigen der Berliner Vorsitzende keine andern Rechte zu beanspruchen habe, wie der ihm aus dem Reiche beigeordnete Kollege. Praktisch änderte sich unter den damals gegebenen Personenverhältnissen, die ja freilich auch einmal sich ändern konnten, ja sogar mussten, eigentlich nichts Wesentliches. Denn soweit mir daran gelegen war, hatte ich diese Gleichberechtigung im Grunde genommen schon zehn Jahre lang besessen, ohne dass sie mir jemals vom ersten Vorsitzenden streitig gemacht worden wäre. Nun war sie zum Verbandsgesetz erhoben. Aber ich hatte auch in den weiteren sieben Jahren meines Vorsitzendenamtes keine Veranlassung, mich auf dieses Gesetz zu berufen.
In diesen siebzehn Jahren habe ich sechs Vorsitzende in der Leitung des Reichsverbandes erlebt und mit fünf von ihnen jahrelang zusammengearbeitet. Ich war ohne und mit statutarischer Gleichberechtigung immer gleichberechtigt, bis Herr Dr. Dietrich[22] mit Gewalt dem Reichsverbande als alleinberechtigter Vorsitzender aufgezwungen wurde und aus dem Reichsverbande ein Zerrbild dessen machte, was er sein sollte. Wenn ich von Paul Marx absah, der als Mann des Scherlverlages[23] vor dem ersten Weltkrieg keiner bestimmten Partei oder politischen Richtung angehörte, so sind meine übrigen Mitvorsitzenden bis 1933, Rippler[24], Baecker, Bernhard und Wilhelm Ackermann[25], alle ausgesprochene Parteimänner gewesen, was sich schon aus den politischen Verhältnissen der Zeiten, in die sie fielen, so ergab. Es muss gegenüber ganz unmotivierten Angriffen, die namentlich von nationalsozialistischer Seite erhoben wurden, und dahin gingen, dass der Reichsverband in dem Zeitraum zwischen den beiden Weltkriegen von politischen Linkstendenzen beherrscht gewesen sei, mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass drei der genannten Männer, Rippler, Baecker und Ackermann, stark rechts gerichtet waren, wenn auch gegen keinen von ihnen jemals eine stichhaltige Beanstandung vorgebracht wurde und werden konnte, dass er seine Stellung im Verband auch nur im Geringsten für politische Zwecke missbraucht hätte. Das war auch an sich schon so gut wie unmöglich, weil dagegen im Reichsverband sofort von Andersgesinnten heftiger Widerstand eingesetzt hätte. Wenn man das alles in Betracht zieht, kann es einem die Dinge ruhig und objektiv Abwägenden kaum verwunderlich erscheinen, dass die linksgerichteten Kreise im Verband, als ihnen einmal eine geeignete Persönlichkeit zur Verfügung stand, diese nun auch an der Spitze sehen wollten und dass die große Mehrheit der politisch Andersdenkenden diesen Wunsch als recht und billig anerkannte. Der Fall lag nach dem Abgang Baeckers, des Mannes der „Deutschen Tageszeitung“ und deutschnationalen preußischen Landtagsabgeordneten, vor. Da präsentierte Berlin aufgrund seines Vorschlagrechtes Georg Bernhard[26], der um diese Zeit als Demokrat für den Reichstag kandidierte. Bernhard hatte bereits seit längerem als Vertreter der Presse und unseres Verbandes dem Reichswirtschaftsrate als Mitglied angehört und für unsere Seite den Vorsitz in der Reichsarbeitsgemeinschaft der Deutschen Presse geführt. Er zählte zu den Veteranen des Verbandes, hatte immer und überall eifrig mitgearbeitet, und was gerecht sein will, wird zugeben müssen, dass sein Wirken wie das weniger anderer in vorderster Linie kämpfender Berufsgenossen von Erfolgen begleitet war, die der Kollegenschaft zu Gute kamen und deren Dank verdienten. Dass Bernhard als Jude auch eine grundsätzliche Gegnerschaft im Verbande hatte, ist begreiflich, aber diese fiel bei seiner Wahl zum Verbandsvorsitzenden so wenig ins Gewicht, dass weit über 90 Prozent der Stimmen sich auf ihn vereinigten. Denn auch in diesem Falle wurde nicht nach parteilicher Richtung oder nach Rassenanschauungen gefragt, sondern ausschließlich danach, ob der Kandidat den Willen habe und in der Lage wäre und nach den bisher mit ihm gemachten Erfahrungen erwarten lasse, dass er das ihm zu übertragende Amt nur nach den Richtlinien des Verbandes und im Interesse des Berufes ausüben und es niemals privaten oder politischen Zwecken dienstbar machen werde. Auch Bernhard hat dieser von der überwältigenden Mehrheit seiner Wähler gehegten Erwartung voll entsprochen. Seine Gegner hatten zwar Manches an ihm auszusetzen, aber ein ernsthafter Vorwurf in dieser Richtung konnte ihn meines Wissens nie gemacht werden. Als er schon bald mit Franz Ullstein[27], einem der Chefs des Hauses Ullstein, in den bekannten schweren Konflikt geriet und aus der „Vossischen Zeitung“ und der Firma Ullstein ausschied, hat er dem Reichsverband alsbald seinen Rücktritt angeboten und sein Amt nur auf Wunsch des Geschäftsführenden Ausschusses formell noch eine Zeitlang bis zur Erledigung des Konfliktes beibehalten. Tatsächlich verwaltet wurde es provisorisch von dem Kollegen Ackermann, der dann auch Bernhards Nachfolger im Vorsitz wurde. Seine politische Richtung als Deutschnationaler spielte bei ihm so wenig eine Rolle wie bei den früheren Vorsitzenden die ihrige eine gespielt hatte. Ausschlaggebend war, dass der Mann der einzige die unbedingt zu stellenden Voraussetzungen erfüllende Kandidat und dazu der beste war, den Berlin uns vorzuschlagen hatte. Tatsächlich ist er der beste Vorsitzende geworden, den der Reichsverband aufzuweisen hatte, was seine vorbildliche Amtsführung in den äußerst schwierigen Jahren, die nun folgten, zur Genüge erhärtete.
1933 kamen bei der Bestimmung des Vorsitzenden andere Grundsätze zur Anwendung als bisher. Dr. Dietrich[28] wurde nicht gewählt, sondern durch Diktat auf den Posten gestellt und zwar nicht etwa, weil er der Mann war, von dem man annehmen konnte, dass er die Kraft und die notwendigen Eigenschaften besäße, sein Amt so zu verwalten, wie es die Berufskollegen von ihm verlangen durften, sondern einzig und allein deshalb, weil er sich zum Nationalsozialismus bekannt hatte und der Erwartung seiner Auftraggeber, die aus dem Reichsverband der Deutschen Presse eine nationalsozialistische Gliederung zu machen wünschten, Erfüllung verhieß. Wenn diese Erwartung erfüllt wurde und wenn die Erfüllung ein Verdienst war, dann haben Dr. Dietrich und sein Nachfolger Weiß[29] dieses Verdienst sich erworben. Zu Dank dafür waren ihnen höchstens ihre Auftraggeber verpflichtet. Beiden, Dietrich sowohl wie Weiß, war der Reichsverband als Berufsorganisation vollkommen gleichgültig. Sie haben sich in dieser Beziehung auch nie um ihn gekümmert. Ihnen war er lediglich ein brauchbares Mittel für ihre politischen und persönlichen Bestrebungen und eine willkommene Geldquelle.
Der Nationalsozialismus
Der Nationalsozialismus als politische Bewegung ist ein Produkt des verlorenen ersten Weltkrieges gewesen, und zwar ein an sich durchaus natürliches. Das deutsche Bürgertum und die alten politischen Parteien hatten sich eingebildet, man könnte nach einem solchen Kriege und einem so ungeheuerlichen Frieden das politische und wirtschaftliche Leben daheim einfach an dem Punkte, an dem es bei Kriegsbeginn ausgesetzt hatte, unverändert in den bis dahin gewohnten Formen wieder aufnehmen. Das war eine Kurzsichtigkeit sonders gleichen, die sich bitter rächte. Es rächte sich auch bitter, dass man wähnte, die zurückkehrenden Millionen von Kämpfern aus allen Volksschichten sonderlich aus den arbeitenden Klassen nach Überwindung des ersten revolutionären Durcheinanders wieder nach alter Manier behandeln zu können. Man kann auch nicht, nicht einmal nach einem verlorenen Kriege, in einem ganzen Volke wie dem deutschen mit seiner Jahrtausende alten Geschichte und Tradition jedes vaterländische Gefühl mir nichts Dir nichts auslöschen wollen, wie manche Leute in der von den Nationalsozialisten so genannten Systemzeit wünschten und anstrebten. Das alles und noch manches andere dazu musste naturnotwendig eine Reaktion erzeugen, und diese Reaktion war eben der Nationalsozialismus. Um das zu sehen, brauchte man nur die ersten Anhänger der Bewegung sich etwas näher zu betrachten. Es waren fast durchwegs ehemalige Frontsoldaten und Kriegsbeschädigte, darunter viele Offiziere, und sonstige Opfer des Krieges, um die die andern, denen es noch besser ging, recht wenig sich sorgten. Bald gesellten sich auch die Scharen der von der Inflation Niedergewalzten hinzu. Auch ihre vielfach furchtbaren Schicksale ließen die Massen der andern Volkskreise, die durch Krieg und Inflation nicht so schwer gelitten, ja z. T. sogar davon profitiert hatten, kalt.
Aber erst als die wirtschaftliche Not unter dem Druck und den Auswirkungen der Friedensbedingungen und der steigenden Reparationsleistungen mehr oder minder fast das ganze Volk erfasste und auf eine kaum mehr erträgliche Höhe stieg, da strömten der Hitlerbewegung immer breitere Volksmassen zu, bis schließlich die Mehrheit so groß wurde, dass der Nationalsozialismus die politische Macht im Reiche unschwer an sich reißen konnte. Sehr erleichtert, wenn nicht überzeugt erst ermöglicht, wurde der propagandistische Kampf um die Macht dem Nationalsozialismus und seinem Führer Adolf Hitler durch den ausgedehnten und skrupellosen Gebrauch aller modernsten technischen Hilfsmittel für diesen Zweck, vor allem durch den Lautsprecher, das Auto und das Flugzeug und zum Schluss auch noch durch den staatlichen Rundfunk. Wie armselig waren dagegen die Wirkungen, die früher eine Partei mit dem allerschönsten Programm durch ihre Versammlungspropaganda zu erzielen vermochte! In die Parteiversammlungen, die im besten Falle von einigen Tausend Personen besucht werden konnten, deren Redner also nur von diesen verhältnismäßig wenigen gehört wurden, kamen in der Regel ausschließlich Parteianhänger, die nicht mehr überzeugt und gewonnen zu werden brauchten. Kamen aber Gegner in solche Versammlungen und wurden sie zugelassen, so gab es gewöhnlich Radau und Schlägereien, die im Allgemeinen dem propagandistischen Wert der Veranstaltungen kaum zuträglich gewesen sein dürften.
Die nationalsozialistische Parteipropaganda war übrigens bekanntermaßen in ihren ersten Anfängen so bescheiden und unbedeutend, wie kaum jemals in einer anderen Partei gewesen ist. Erst als der Zirkusbesitzer Krone[30] Hitler dafür seinen Zirkus-Rundbau auf dem Marsfelde zur Verfügung stellte, hatte dieser damit für seine Propaganda eine breitere Grundlage gewonnen. Hier konnten seine auf die Massen geradezu suggestiv wirkende demagogische Redeweise bereits Triumphe feiern. Ich bin selbst aus beruflichem Interesse in manchen dieser Versammlungen gewesen und habe mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört, wie die Menschen durch Hitler hingerissen wurden und ihm zujubelten, Andere, die dem Nationalsozialismus grundsätzlich ablehnend gegenüberstanden und deshalb auch seine Versammlungen nicht besuchten, wollten das nicht verstehen und nicht daran glauben. Meinen Kollegen Schiedt z. B. habe ich oft dazu zu bringen mich bemüht, eine Hitler-Versammlung im Zirkus Krone zu besuchen, um einmal einen persönlichen Eindruck von der Wirkung Hitlers auf die Volksmassen sich zu verschaffen. Ich war nämlich der Meinung, dass ein politischer Redakteur das unbedingt müsse, wenn er seinen Lesern ein Urteil darüber ermöglichen wolle. Schiedt[31] hat das aber immer entschieden abgelehnt.
Wilhelm Weiß
Als im Dezember 1918 mein ältester Sohn[32] aus dem Felde heimkehrte, da erkundigte ich mich telefonisch in der Kaserne des Ersatztruppenteils auf dem Marsfelde wegen des Zeitpunktes der Ankunft und erhielt darauf Bescheid durch den Oberleutnant Wilhelm Weiß, der als Schwerkriegsbeschädigter hier Heimatdienst tat. Dieser Oberleutnant Weiß[33] kam später im Jahre 1919 einmal zu mir auf mein Redaktionsbüro und trug mir seinen Wunsch vor, die Redakteurslaufbahn einschlagen zu wollen, mit der Bitte, ihm mit gutem Rat, wie er das anfangen solle, unter die Arme zu greifen. Ich wies ihn darauf hin, dass, wenn er sich dem Journalismus zu widmen die Absicht habe, vor allem andern nötig wäre die Feststellung, ob er ein Journalist sei. Journalist sei kein Beruf, den man erlernen könne wie ein Handwerk, sondern eine Art von Kunst, zu der man geboren sein müsse. Das sei die Grundlage und die Voraussetzung, wozu man dann freilich noch Mancherlei hinzulernen müsse. Wie man das Geborensein zum Journalismus feststellen könne, fragte mich der junge Offizier. Ich entgegnete ihm, dass es natürlich auch sehr darauf ankäme, welchem Zweige der Journalistik er sich zuzuwenden gedächte. Sein Sinn sei auf das politische Gebiet gerichtet, hörte ich und gab ihm den Rat, sich aus den politischen Tagesnachrichten der Zeitungen aktuelle Themen auszusuchen und Artikel darüber zu schreiben, die er mir bringen könne und die auf die journalistische Begabung des Schreibers hin zu prüfen und ihm darüber offen Bescheid zu sagen ich bereit wäre. Das geschah, und ich konnte feststellen und ihm eröffnen, dass seine Arbeiten einen gewissen journalistischen Begabungsfundus unverkennbar verrieten. Es käme nun darauf an, sich um einen Platz zur praktischen Ausübung des Berufes d. h. hier zur Aneignung der nötigsten handwerklichen und technischen Kenntnisse dafür umzusehen.
Nach kleinen Anfängen und verschiedenen Durchgangsstationen – es drängten damals nicht wenige, naturgemäß durch den Krieg brotlos gewordene Offiziere in die Journalistik – landete Wilhelm Weiß beim „Völkischen Beobachter“[34] und wurde schließlich dessen Hauptschriftleiter. Auch in der Berufsorganisation, dem Reichsverband der Deutschen Presse, der mitsamt seinem alten Namen von den Nationalsozialisten übernommen und gleichgeschaltet wurde, sollte Weiß noch eine führende Rolle spielen. Er wurde erster Vorsitzender, nachdem Dr. Dietrich Reichspressechef geworden war. Die Art und Weise, wie die erste nationalsozialistische Vorstandschaft im Reichsverband 1933 bestellt wurde, war charakteristisch. Die Versammlung wurde unter schärfsten Druck gesetzt und ihre Zustimmung zu den nationalsozialistischen Vorschlägen glattweg erpresst. Um der Sache aber nach außen hin ein schöneres Gesicht zu geben, nahm man in den neuen Vorstand auch noch ein paar von den alten Mitgliedern als Dekorationsstücke mit hinein, darunter auch mich. Aber das war nur ein kurzes Intermezzo. Der nunmehrige erste Vorsitzende Dr. Dietrich bestellte, nachdem er zum Reichspressechef aufgerückt war, Weiß an seiner Stelle zum ersten Vorsitzenden, der den Vorstand dann gleich von allen nichtnationalsozialistischen Elementen säuberte.
Ich nahm mein Ausscheiden und die Ernennung von Weiß, der ja als aller erster Anfänger sozusagen mein Schüler gewesen war, zum willkommenen Anlass, um diesem einen Brief zu schreiben, der formell ein Glückwunsch zu seiner Beförderung war, praktisch aber den Zweck hatte, seine Aufmerksamkeit auf unser Vertragswerk, namentlich auf unsere Versorgungsanstalt zu lenken, um deren ungeschmälerten Weiterbestand ich mir in diesem Zeitpunkte schwere Sorgen machte, und ihm mit Bezug darauf einige Winke zu geben. Seine Antwort war ein dokumentarischer Beweis für den Mangel jedes kollegialen und kameradschaftlichen Gefühls bei ihm und für seine absolute Uninteressiertheit an den ideellen Bestrebungen zur Hebung des Berufes und den sozialen Einrichtungen der Berufsorganisation. Und das war nun der erste Vorsitzende der Organisation! Sein Antwortbrief war nämlich nichts weiter als ein paar Zeilen Dank für den Glückwunsch, der mir natürlich nur Nebensache und Anknüpfungspunkt gewesen war, auf den sachlichen Inhalt meiner Ausführungen über Vertragswerk und Versorgungsanstalt ging er mit keinem einzigen Wort ein. Damit war ich für den Mann, er aber auch für mich erledigt. Weiß ist übrigens im März 1950 in seiner Heimat Wasserburg am Inn gestorben und auf dem Westfriedhof in München in aller Stille zu Grabe getragen worden.
Ich sollte aber mit ihm bald eine noch trübere und seinen Charakter noch schärfer kennzeichnende Erfahrung machen. Ich habe schon bei einer andern Gelegenheit erwähnt, dass mein Kollege Schiedt, der Chefredakteur der Münchener Zeitung[35] 1923 sich hatte verleiten lassen, einige Zeit den Pressechef des Generalstaatskommissars Kahr[36] zu spielen. Damit hatte er sich bei den Nationalsozialisten in einen überaus schlechten Geruch gebracht, und es war zu erwarten, dass er das bald in seiner Stellung bei der Münchener Zeitung zu spüren bekommen würde. Diese Befürchtung trog nicht. Eines schönen oder richtiger unschönen Tages erhielt der Verlag der Münchener Zeitung durch unsern damaligen Lokalredakteur Dr. Hohenstatter einen Brief des Herrn Wilhelm Weiß überreicht, der im Auftrag des Stabschefs der SA, Röhm[37], geschrieben war. Röhm ist bekanntlich schon kurze Zeit darauf im Jahre 1934 wegen des angeblich von ihm angezettelten Putsches gegen den Führer erschossen wurde. Der Weiß-Röhm-Hohenstatter-Brief verlangte kategorisch und mit unmissverständlichen Drohungen nichts mehr und nichts weniger als die sofortige Absetzung Schiedts als Chefredakteur der Münchener Zeitung und die gleichzeitige Bestellung des Günstlings der Herren Röhm und Weiß als Nachfolger. Dieser Günstling war – der Briefträger, eben der Herr Dr. Hohenstatter[38] [39], der noch unmittelbar vor der Machtübernahme der NSDAP schnell die Mitgliedschaft und zwar nicht in München, sondern bei der Ortsgruppe Reichenhall, wo gute Freunde saßen, erworben hatte. Den Brief habe ich selbst in der Hand gehabt und genau gelesen, und ich kann mich gut erinnern, wie laut und deutlich man darin den Revolver knacken hörte. Um dem Verlag keine Schwierigkeiten zu bereiten und die Münchener Zeitung nicht zu gefährden, bot Schiedt sofort aus eigener Initiative seinen Rücktritt an. So konnte Herr Dr. Hohenstatter, der sich offen der nicht ganz beigeschmacklosen „Freundschaft“ des Herrn Röhm rühmte, alsbald zu einem freilich nur kurzen Debüt in der Leitung der Redaktion der Münchener Zeitung sich etablieren. „Wie man Chefredakteur wird“ konnte man über diese schmähliche Episode schreiben. Es war nicht die einzige solcher Art in den zwölf Jahren uneingeschränkter nationalsozialistischer Pressegebahrung.
Eine andere Methode zur Entfernung eines missliebigen Hauptschriftleiters
Einige Jahre darauf z. B. hat meinen ältesten Sohn[40] in Schweinfurt als Hauptschriftleiter des Schweinfurter Tagblatt[41] ein ganz ähnliches, aber noch schlimmeres Schicksal erreicht. Auch er war, da er nicht Parteimitglied war und sein mochte, bis zu einem gewissen Grade schon von vorneherein suspekt. Außerdem war es der Partei unbequem, dass man in Schweinfurt kein eigenes Parteiorgan zur Verfügung hatte und das Würzburger Parteiblatt, das sich dort (in Schweinfurt) einnisten sollte, mit der Schweinfurter Konkurrenz nicht in dem gewünschten raschen Tempo fertig wurde, weil die Schweinfurter schon aus Lokalpatriotismus ihr eigenes Blatt bevorzugten.
Da man mit dem Verleger leichter fertig zu werden glaubte, nahm man sich zunächst einmal den Hauptschriftleiter aufs Korn. Leicht fand sich ein Spitzel, der ihn eines Tages wegen der innerhalb der vier Wände seines privaten Wohnzimmers im Hinblick auf gerade bevorstehende Wahlen getanen Äußerungen „Wer Hitler wählt, wählt Krieg“ denunzierte. Der Erfolg war, dass der Denunzierte vier Wochen lang in Untersuchungshaft sitzen und alsdann vor dem Sondergericht in Bamberg erscheinen musste, das damals (es war einige Jahre nach der Machtübernahme) sogar noch den Mut aufbrachte, ihn freizusprechen. Aber das Wichtigste, was bezweckt werden sollte, war schon erreicht: Man hatte den Mann in seiner Stellung unmöglich gemacht. Trotzdem war man mit dem Ergebnis noch nicht zufrieden. Entgegen dem alten juristischen Grundsatz: Ne bis in idem! (d. h. es soll in eine Sache, die bereits einmal durch gerichtlichen Spruch endgültig erledigt wurde, nicht ein zweites Mal vorgegangen werden) musste das nationalsozialistische Presse-Berufsgericht nach Umfluss von mehr als einem halben Jahre die Sache erneut aufgreifen. Es verurteile meinen Sohn zur Löschung aus der Berufsliste, mit andern Worten: zur Existenzvernichtung. Dieses Pressegericht setzte sich zusammen aus einem Landgerichtsdirektor als Vorsitzenden und vier nationalsozialistischen Schriftleitern als Beisitzern. Bei der Urteilsberatung ging es so erregt zu, dass man den Stimmenlärm aus dem Beratungsraum bis in den Sitzungssaal heraus vernehmen konnte. Ein alter nationalsozialistischer Kollege, der als Beisitzer fungiert hatte und der wenige Jahre später aus dem Zeitlichen gegangen ist – die Partei hat den Mann bei seinen Lebzeiten, wie er mir oft bitter klagte, nicht weniger als schön behandelt, ihm dann aber nach seinem Tode ein Parteibegräbnis zugebilligt – hat mir gegenüber bei einer Aussprache durchblicken lassen, dass er und der Vorsitzende sich heftig gegen den Urteilsspruch gewehrt hätten, dass sie aber von den drei andern Beisitzern, darunter dem Oberboxer und Sportredakteur des „Völkischen Beobachter“[42] Heymann[43], überstimmt worden wären.
Die Sache ging dann auch noch in die Berufungsinstanz, zum Ober-Pressegericht in Berlin. Gleich bei Beginn der dortigen Verhandlung wurde meinem Sohne vom Richtertisch aus dringend empfohlen, seine Berufung zurückzuziehen, mit der Inaussichtstellung, dass er dann nach einiger Zeit um Wiederaufnahme in den Verband nachsuchen und auf den Erfolg eines solchen Schrittes mit ziemlicher Sicherheit rechnen könne. Mein Sohn folgte dem Rat, und tatsächlich wurde seinem Gesuch um Wiederaufnahme nach einigen Jahren stattgegeben. Ein Beweis, dass auch die Parteiinstanzen von seiner Schuld nicht unbedingt überzeugt waren, es aber nach Erreichung des Hauptzweckes der ganzen Aktion (der Ausschaltung in Schweinfurt) vorzogen, lieber eine gnädige verzeihende Geste zu machen, als dem Rechte zum Siege zu verhelfen. Nicht verwunderlich war es bei den Rechtszuständen im nationalsozialistischen Staat, dass der Denunziant während der beiden Verfahren nicht ein einziges Mal als Zeuge vor Gericht hatte zu erscheinen brauchen.
Zur praktischen Ausübung seines Berufes ist mein Sohn trotz seiner Wiederzulassung seitdem nicht mehr gekommen, da der Krieg ihn bald zum zweiten Male zu den Waffen rief. Die Schweinfurter Affäre hing ihm übrigens auch beim Militär während seiner Dolmetschertätigkeit in Frankreich noch empfindlich nach. Als er dort bei einem Kriegsgericht als Dolmetscher fungierte und sein Chef, nachdem er eine ganze Reihe von Leuten, die für den Zweck nicht zu gebrauchen gewesen waren, wieder hatte fortschicken müssen, sehr erleichtert und zufrieden war, endlich einen verwendbaren Mann erhalten zu haben, und deshalb nach einiger Zeit seine Ernennung zum Sonderführer beantragte (ein bei Dolmetschern mit zufriedenstellender Leistung normaler Vorgang), da wurde dieser Antrag vom Oberkommando des Heeres abgelehnt und zwar mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Schweinfurter Angelegenheit als Begründung. Das Oberkommando des Heeres hatte also erst bei der Partei anfragen und dort geführte Personalakten einholen müssen. Auf die Empfehlung des Chefs meines Sohnes hin, der sich über die Ablehnung seines Antrages, wie leicht verständlich, sehr erbost hatte, habe ich dann an das Oberkommando des Heeres eine gegen seine ablehnende Haltung Beschwerde führende Eingabe gerichtet und darin aus meinem Herzen keine Mördergrube gemacht. Das Oberkommando des Heeres ließ sich darauf sogar herab, mir mitzuteilen, dass meine Eingabe in Bearbeitung sei und ich zu gegebener Zeit Bescheid erhalten würde. Die gegebene Zeit ließ allerdings reichlich lange auf sich warten. Zwischendurch kam rund ein halbes Dutzend Fragebogen bei dem zuständigen Partei-Blockwart[44] an, der damit nichts Rechtes anzufangen wusste und deshalb, was er sicher nicht sollte, mich wegen der Beantwortung zu Rate zog. Es war freilich auch allerhand, was da alles gefragt wurde z. B. über die politische Zuverlässigkeit und Gesinnung der einzelnen Familienmitglieder, ob die Familie bei Sammlungen auch gut gebe und Dergleichen mehr. Als zuletzt dann auch noch vom Wehrmeldeamt ein solcher Fragebogen ankam, wurde mir die Geschichte über, und ich gab dem Blockwart zu verstehen, er möge doch, wenn er wolle, in den Fragebogen die Bemerkung einfügen, dass die Familie, nachdem die Sache nun schon so lange herumgezogen werde (es waren seit der Antragstellung zirka zwei Jahre vergangen), keinerlei Wert mehr auf ihre weitere Verfolgung lege. Ob der Mann das hineingeschrieben hat, ist mir nicht bekannt. Aber nachdem wieder einige Monate verflossen waren, traf vom Münchener Wehrmeldeamt ein Schrieb bei mir ein (im September 1944) des Inhalts, es (das Wehrmeldeamt) habe mit Schreiben des Oberkommandos des Heeres vom 26. August 1944 den ehrenvollen Auftrag erhalten, mir mitzuteilen, dass eine nochmalige Prüfung der außerdienstlichen Eignung Ihres Herrn Sohnes Dr. Cajetan Freund, geb. 2. 1. 1899, die Zuerkennung eines Sonderführers im Offiziersrang ergeben hat. „Mein Sohn, mit dem wir damals viele Monate überhaupt keine Verbindung mehr hatten, hat von dieser Beförderung erst im Jahre 1945 Kenntnis erhalten, als er längst als Feldwebel bei einem Truppenteil in Norwegen stand. Aber er hat die Nachricht mit dem einer solchen Komödie angemessenen Humor aufgenommen. Er schrieb mir nämlich zurück: „Da die Beleihung mit der Eigenschaft eines Sonderführers nur für die Zeit gilt, während welcher man in der betr. Sonderfunktion, in meinem Fall also als Dolmetscher, eingesetzt ist, das Schreiben des O.K.H. vom 26. 8. 1944 datiert ist und wir am 29. 8. 1944 von Bar le Duc abgerückt sind, bin ich also – freilich ohne es zu wissen – genau drei Tage lang Sonderführer gewesen. Nun, wenn mir alles so wenig Sorgen machte wie das …“.
Reichspressechef Dr. Dietrich
Die Erlebnisse und Erfahrungen, die ich mit ihm und durch ihn hatte, waren im Gegensatz zu dem mit Herrn Weiß Erlebten mehr tragischer Natur. Ich kannte ihn ebenfalls bereits von München her, wo er in den 20er Jahren Wirtschaftsredakteur bei der 1934 leider eines sanften Todes verblichenen München-Augsburger Abendzeitung und Mitglied unserer Berufsorganisation gewesen war. Als er 1932 als nationalsozialistischer Partei-Pressechef in Kundgebungen, die er als solcher erließ, in maßloser Sprache gegen die „bürgerliche Journaille“ loszog und diese und auch ihre Angehörigen, also Berufskollegen und Mitglieder desselben Verbandes, dem auch er angehörte, persönlich nach allen Regeln nationalsozialistischer Kampfesweise verunglimpfte und mit Schmutz bewarf, wurde es der Berufsorganisation doch zu bunt, so dass sie endlich die berechtigte Konsequenz seines Ausschlusses zog. Alsbald nach der Machtübernahme 1933 erschien bei meinem Mitvorsitzenden im Reichsverband Wilhelm Ackermann in Berlin Herr Dr. Funk[45], zu dieser Zeit Reichspressechef und später Reichswirtschaftsminister und Reichsbankpräsident, als ehemaliger Wirtschaftsredakteur der Berliner Börsen-Zeitung auch ein Berufskollege, und bestellte im Auftrag des Führers, dieser verlange kategorisch, dass Dr. Dietrich sofort wieder in den Reichsverband aufgenommen werde. Der Kollege Ackermann teilte mir umgehend dieses durch Funk ihm übermittelte Verlangen des Führers mit, und ich gab es weiter an den Münchner Ortsverein, der für die Mitgliederaufnahme bzw. ihren Ausschluss in diesem Falle zuständig und verantwortlich war. Der Ausschluss Dietrichs war seinerzeit durch einstimmigen Beschluss geschehen. Jetzt blieb Angesichts der ganzen Sachlage und wenn man nicht die Berufsorganisation selbst in Gefahr bringen wollte, nichts anderes übrig, als den Ausschluss rückgängig zu machen. Denn dass im Weigerungsfalle Gewalt und Diktat, wie das nun üblich war, angewandt werden würden, darüber konnte nach den bereits vorliegenden Erfahrungen nicht der mindeste Zweifel bestehen.
Zehn Jahre später erlebte ich die komische Seite des Falles Dietrich. Ich war zu dieser Zeit bereits seit sieben Jahren aus dem Beruf ausgeschieden, und zwar auch auf Einwirkung der Partei hin und nunmehr in Stellvertretung Leiter des Städt. Informationsdienstes. Im Juni 1943 konnte ich meinen 70. Geburtstag feiern. Als wir, meine Frau und ich, an diesem Tage, einem Sonntag, gerade daheim beim Mittagessen saßen, brachte ein Depeschenbote ein Telegramm, bei dessen Lektüre ich, ich glaube zum ersten Male seit dem Soldatentode meines jüngsten Sohnes, wieder herzlich lachen konnte und musste. Ich reichte dann das Telegramm meiner Frau hin mit dem Bemerken, sie möge sich fest an ihrem Stuhl halten, damit sie nicht herunterfalle. Hier der Wortlaut des Telegramms, der diese Bemerkung rechtfertigen dürfte:
„Lieber Cajetan Freund!
Leider habe ich erst in der Zeitung von Ihrem 70. Geburtstag gelesen. In alter kollegialer Verbundenheit möchte ich Ihnen zu diesem Ehrentag meine und der ganzen deutschen Presse herzlichsten Glückwünsche aussprechen. Ich erinnere mich dabei gerne unserer jahrelangen schönen Zusammenarbeit und wünsche Ihnen viele Jahre vollster Gesundheit und weiteres erfolgreiches Wirken. In kameradschaftlicher Verbundenheit
Ihr Dr. Dietrich, Reichspressechef.“
Ich habe mit dem Herrn Reichspressechef weder in dieser seiner Eigenschaft noch sonst jemals irgendwie zusammengearbeitet, und ich war nicht wenig erstaunt über diese mir bis dahin völlig unbekannt gebliebene Neuigkeit. Und natürlich drängte sich mir sogleich die Frage auf, was damit eigentlich bezweckt werden sollte. Cui bono[46]? Fragt der Lateiner in solchen Fällen. Dass der Herr Reichspressechef so urplötzlich sein Herz entdeckt und nur deshalb, weil zufällig der alte Trottel, der ich ja sonst sicher nur für ihn war, 70. Geburtstag feierte[47], sich in die Unkosten verlogener Gemütsdrüsen-Phrasen gestürzt haben sollte, ist wenig wahrscheinlich, umso weniger, als Dietrich sicher wusste, dass ich als Beisitzer in der Ortsvereins-Vorstandschaft zu jenen gehörte, die sich mit der Angelegenheit seines Ausschlusses aus dem Verband zu befassen gehabt und ihn durch die geöffnete Tür befördert hatten. Seine Schimpf-Tiraden auf die „bürgerliche Journaille“ hatten doch gewiss auch in erster Linie deren führenden Leuten gegolten, so dass auch dieserhalb ich ihn kaum zu meinen Freunden zählen durfte. Woher also die auffällige Erinnerung an ein Verhältnis, das gar nie bestanden hat und nach allen gegebenen Voraussetzungen auch gar nie bestehen konnte?
Dr. Dietrich gehörte seit Jahren zu den wenigen Leuten der engsten Umgebung des Führers und kam mit diesem fast tagtäglich in Berührung. Aufgrund der ihm dadurch zweifellos gewordenen genaueren Kenntnis aller politischen und militärischen Vorgänge und Entwicklungen dürfte ihm im Jahre 1943 doch wohl schon leise aufgedämmert sein, dass das tolle Vabanquespiel seines Führers kein gutes Ende mehr erwarten ließ.[48] Durch solch trübe Ahnung mochte recht wohl sein verlogenes Telegramm an mich veranlasst und beeinflusst sein. Vielleicht, so berechnete er etwa, konnte es sich als capatio benevolentias[49] nützlich erweisen. Da kann man schon einmal ein Auge zudrücken auch gegenüber einem, der einst für den Ausschluss des Herrn Dietrich aus dem Verband gestimmt hat. Mit der „alten kollegialen Verbundenheit“ und der „langjährigen schönen Zusammenarbeit“ hatte Herr Dr. Dietrich bei seinem trüben Blick in die Zukunft aber doch etwas zu dick aufgetragen. Denn auch mit Lügen muss man vorsichtig sein und darf sie nur wohlabgemessen dosiert verabreichen. Auch hier schadet jedes Zuviel. Und Herr Dr. Dietrich hat mir zu viel auf einmal verabreicht. Die „alte kollegiale Verbundenheit“ war weder alt noch kollegial noch eine Verbundenheit, und die „langjährige schöne Zusammenarbeit“ konnte schon deshalb weder langjährig noch schön sein, weil sie überhaupt nie stattgefunden hat. Was zu viel ist, ist zu viel. Aber lange und nachhaltig erheitert hat mich das verlogene Telegramm des Herrn Reichspressechefs trotzdem. Es war doch eine eigenartige Sorte deutscher Mitmenschen, von denen wir uns zwölf Jahre lang regieren oder, deren eigenem Sprachschatz gemäß, „führen“ lassen mussten! Eine teuflische Mischung von deutschem Gernegroß, einem kleinen Napoleon und Nero und Consorten, die ein deutscher Cicero wie einst der römische seinen Catilina mit dem klassischen: Quo usque tandem abutere, Catilina, patientia nostra? Mit dem ins Deutsche übersetzten: „Wie lange noch, Hitler, willst Du unsere Geduld missbrauchen?“, hätte apostrophieren können.
Herr Wilhelm Weiß[50] hat sich aus dem gleichen Anlass nicht zu einer Äußerung aufgeschwungen, obwohl gerade ihm das in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Reichsverbandes einem ehemaligen Vorsitzenden gegenüber, der immerhin in einer ungewöhnlich langen 17jährigen Tätigkeit in diesem Amte für den Verband und für den ganzen Beruf Einiges geleistet und viel Zeit und Kraft dafür geopfert hatte, ganz gut angestanden hätte. Aber ich habe auch nicht darauf gerechnet und wäre nur höflich erstaunt und verwundert gewesen, wenn ich mein Urteil über den Mann hätte korrigieren müssen. Ich brauchte es nicht. Denn der Mann war und blieb genau das, wofür ich ihn hielt: ein herz-, gewissen- und charakterloser Streber! Das hat ihm für eine kurze Spanne Zeit reichlichen Gelderwerb, eine prominente Stellung und ein angenehmes und üppiges Dasein verschafft, was zu erjagen ja das Lebensziel solcher Menschen zu sein pflegt. Das dicke Ende indes dürfte, so vermute ich, kaum nach seinem Wunsch gewesen sein.[51] Womit ich nicht gesagt haben will, dass ich ihm das gewünscht hätte. Ich hätte ihm sogar gerne ein besseres Ende gegönnt, wenn dem Vaterlande und uns allen damit wenigstens ein Teil des namenlosen Elends erspart geblieben wäre, das diese Leute über uns gebracht haben.[52]
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Versorgungswerk_der_Presse und http://www.presse-versorgung.de/mediapool/festschrift_drfalk1_medium_1.pdf
[2] „Dovifat hatte sich seit seiner Stettiner Zeit in journalistischen Standesorganisationen engagiert und war dort rasch aufgestiegen. In Pommern und dann später auch in Berlin wurde er Bezirksvorsitzender im Reichsverband der Deutschen Presse (RDP) sowie Vorstandsmitglied im Verein Deutscher Zeitungsverleger und in der Reichsarbeitsgemeinschaft der Journalisten.“ (https://www.kas.de/web/geschichte-der-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/emil-dovifat), siehe auch: http://luhmann.uni-trier.de/index.php?title=Emil_Dovifat_(1890-1969), https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Dovifat und https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsministerium_f%C3%BCr_Volksaufkl%C3%A4rung_und_Propaganda
[3] Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Manes und http://www.insurancehalloffame.org/laureateprofile.php?laureate=26
[4] Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Girardet und http://www.girardet-verlag.com/geschichte/
[5] Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/DuMont_Mediengruppe und http://www.dumont.de/unternehmen/geschichte.html
[6] Cajetan, Alexander, Robert
[7] Großonkel Robert
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_um_Sewastopol_1941%E2%80%931942 und https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article126507958/Wie-Stalins-Rote-Armee-die-Krim-eroberte.html
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_auf_Mainz#1942_und_1943
[10] Eleonore und Erich Lissner
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_auf_M%C3%BCnchen
[12] Der Vater kann es nicht gewesen sein, weil der kein Geistlicher war.
[13] Ottilie Mairgünther 20.12.1875 bis 13.11.1949.
[14] Siehe http://blexkom.halemverlag.de/karl-bucher/
[15] Dr. Martin Mohr war im Institut Vorgänger von Emil Dovifat.
[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_d%E2%80%99Ester
[17] Ich nehme an dass es sich um Ludwig Roselius handelte: https://taz.de/Veroeffentlichung-ueber-Bremer-Nationalsozialisten/!5025189/ und https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Roselius_(Unternehmer)
[18] Siehe hierzu https://de.wikipedia.org/wiki/Reichspressekammer, https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsverband_der_Deutschen_Presse und https://de.wikipedia.org/wiki/Pressegeschichte_in_Deutschland#Weg_zur_modernen_Presse_.28ab_dem_19._Jahrhundert.29
[19] Otto Pflaum, verstorben 1930, war posthum ebenso wie der ehmalige Verlagsdirektor Cossmann übler antisemitischer Hetze ausgesetzt. Der spätere Verlagsdirektor Betz lastete seinem Vorgänger Pflaum die wirtschaftlichen Probleme des Verlages an. Keiner der Kapitalgeber widersprach, (https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2005_2_2_langer.pdf)
[20] https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Gerlich und https://www.gerlich.com/2013-12-12-09-13-27/158-fas-mit-scharfer-feder mit Hinweis auf Dr. Trefz.
[21] Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Hirth
[22] Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Dietrich
[23] https://de.wikipedia.org/wiki/August_Scherl
[24] https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Rippler
[25][25] https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Ackermann_(Journalist)
[26] Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Bernhard und https://buecherverbrennung.wordpress.com/2013/02/10/georg-bernhard/
[27] Der „Spiegel“ v. 23.1. 1952: „Franz Ullstein; studierte Jura und ging dann in den Verlag. Von ihm sagt Bruder Hermann: „Seine kritischen Fähigkeiten waren außergewöhnlich. Mit seinem scharfen Intellekt bohrte er unentwegt Löcher in jedes neue Projekt, in das wir volles Vertrauen hatten. Mit seiner Kritikfähigkeit vereinigte sich ein ungewöhnlich konstruktives Talent und ein Reichtum an Ideen. Die Tageszeitungen und der Buchverlag verdanken ihm ihre wichtigste Entwicklung. Er spielte furchtlos mit Millionen-Projekten und konnte sie mühelos in die Tat umsetzen.“ Franz wurde 1945 in New York von einem Autobus tödlich überfahren.“ (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-21058589.html).
[28] https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Dietrich
[29] Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Wei%C3%9F_(Journalist)
[30] Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Circus_Krone. Neben dieser eher geschönten Geschichte des Zirkus Krone berichtet http://web.de/magazine/unterhaltung/stars/wild-circus-krone-rechten-auge-blind-18397242 etwas umfänglicher zu den Sympathien der Kroneinhaber zum NS, und da scheint es bis heute braune Traditionslinien zu geben. Es geht um einen Auftritt der Band Frei.Wild. Das Album der Südtiroler Rechtsrocker stand auf Platz 1 der deutschen Charts. Der Autor Ludwig Gengnagel schreibt: „Die Texte bedienen sich völkisch-nationaler Ästhetik und populistischer Rhetorik. Kurz gesagt: patriotisches Stammtischgeprolle. Kritiker werfen der Gruppe, die sich öffentlich von Extremismus in jedweder Form distanziert, vor, eine Grauzone zu bedienen. Einen Schmelztiegel also, in dem unpolitische Fans und Neonazis vor dem Hintergrund eines scheinbar harmlosen Patriotismus aufeinandertreffen. Außerdem ist man ja gegen Kinderschänder. Ein Klischee-Thema, mit dem auch die NPD versucht, Wähler für sich zu gewinnen.“
[31] Adolf Schiedt, Chefredakteur der „Münchner Zeitung“ von 1917-1933
[32] Dr. Cajetan Freund (Onkel Daida)
[33] https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Wei%C3%9F_(Journalist)
[34] Siehe https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/V%C3%B6lkischer_Beobachter
[35] https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BCnchner_Zeitung
[36] https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_von_Kahr
[37] https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_R%C3%B6hm
[38] https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Hohenstatter
[39] „Ewald Beckmann begrüßte 1933 die Gleichschaltung und nationalsozialistische Lenkung der Presse. Verlagsdirektor Wilhelm Leupold (1881-1949) passte sich ebenfalls an und sorgte dafür, dass Thomas Mann aus dem Rotary-Club ausgeschlossen wurde. Gemeinsam mit Chefredakteur Schiedt unterstützte er den von Hans Knappertsbusch (1888-1965) betriebenen Protest gegen Thomas Mann wegen dessen Rede über Richard Wagner (1813-1883). SA-Führer Ernst Röhm (NSDAP, 1887-1934), inzwischen bayerischer Staatssekretär, sorgte aber für Druck auf den Verlag, damit Schiedt, der jüdische Vorfahren hatte, entlassen wurde. An seine Stelle rückte der Lokalredakteur Ernst Hohenstatter (1883-1954), der sich als Mann Röhms verstand. 1935 musste eine Gruppe jüdischer Anteilsinhaber, die einen Anteil von 233.000 RM am insgesamt 1,4 Mio. RM betragenden Kapital der „Münchener Zeitungsverlag KG“ hielten, zwangsweise ausscheiden. Die Anteile gingen an Wolfgang Huck über.“ (https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/M%C3%BCnchener_Zeitung)
[40] Dr. Cajetan Freund (jr.), geb. 1899
[41] „1941 muss der Würzburger General-Anzeiger auf Druck der Nationalsozialisten sein Erscheinen einstellen. Die braunen Machthaber stellen es so dar, als ob das Blatt mit ihrem NS-Gauorgan vereinigt worden sei und lassen von nun an die Mainfränkische Zeitung in den Produktionsstätten des Würzburger General-Anzeigers drucken. Die NSDAP-Zeitung erscheint letztmalig am 31. März 1945, zwei Wochen nach der Zerstörung Würzburgs durch die Alliierten.“ (http://www.mediengruppe-mainpost.de/unternehmen/historie/art20930,8621766 )
[42] https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/V%C3%B6lkischer_Beobachter
[43] Ev. Gemeint Aribert Heymann, Berlin, Sportredakteur im Mosse-Verlag, gestorben 1941 (http://www.rainer-doerry.de/Ahnenforschung/Totenliste-Sport-Journalisten.pdf )
[44] Teil des NS Überwachungssystems, Bespitzelung und Denunziation von Hausbewohnern. (http://www.br.de/radio/bayern2/bayern/land-und-leute/blockwarte-im-nationalsozialismus-trebbin100.html )
[45] https://de.wikipedia.org/wiki/Walther_Funk
[46] „Wem nützt’s?
[47] Am 4. Juni
[48] Im Februar `43 besiegte die Rote Armee die Naziarmee in Stalingrad. Nur die Dümmsten und verblendetsten Nazis glaubten noch an den „Endsieg“ des „Führers“. (https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_von_Stalingrad ). Im April kommt es zum Aufstand im Warschauer Ghetto. (https://de.wikipedia.org/wiki/Aufstand_im_Warschauer_Ghetto ) und im Sommer fliegt die britische RAF unter dem Namen Operation Gomorrha schwerste Luftangriffe auf Hamburg. (https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Gomorrha ).
[49] Lat.: „… als Ausdruck des Wohlwollens …“
[50] https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Wei%C3%9F_(Journalist)
[51] Weiß wurde 1949 als „belastet“ interniert (Entnazifizierung), zu 10 Jahren Berufsverbot unter Anrechnung der Internierung und mit einem 30% Vermögenseinzug verurteilt.
[52] Siehe zum Kapitel auch: http://www.jaecker.com/2000/07/journalismus-im-dritten-reich/