Simon Lissner, 28.11.2020
Nach Stuttgart 21, nun der Weiterbau der A 49, um nur die Höhepunkte dessen zu nennen, was wir allenthalben, seit Jahren, beobachten. Wir verzichten an dieser Stelle darauf, die zahlreichen, diesbezüglichen außenpolitischen Beispiele dieser Veränderung der einstmaligen „Antiparteien Partei“ aufzuzählen.
Die Grünen Erklärungen, ob zu Stuttgart 21 (die in die Flucht eines landesweiten „Volksentscheides“ endete) oder nun zum Weiterbau der A 49, ähneln sich in formaljuristischer Diktion zur Umsetzung dieser Bauprojekte. Folgt man dieser Sprachregelung konsequent, ist es nur eine Frage der Zeit, bis noch ganz andere Projekte von den GRÜNEN durchgewunken werden. Und, hier kann und muss man von „den“ GRÜNEN sprechen: „Am Ende folgte der (hessische) Parteitag mit deutlicher Mehrheit dem Antrag der Parteiführung (407 von 499 (abgegebenen Stimmen).“ (FAZ v. 5.10.2020). Das ist eine unübersehbare Mehrheit und die Opposition ins Nichts marginalisiert. Die Bundesführung der Partei bekräftigt den Standpunkt der Hessen-Grünen (öffentlich u.a. Annalena Baerbock). Der Parteirat der GRÜNEN unterstreicht bereits in einer Veröffentlichung vom 5.12.19 die bis heute gültige Position der Landesführung.
Und, bekanntlich war es die Merkel-Regierung, die den Atomausstieg 2011 in ein Gesetz goss, nicht Schröder/Fischer.
Dass es auch anders geht, sei also kurz in Erinnerung gerufen.
Der Abbruch des Baus des Kernkraftwerkes in Whyl
Wir müssen hier nicht die ganze Geschichte um das KKW erzählen. Entscheidend für die Geschichte ist, wie sie endete. Während eine Mehrheit der Whyler Bevölkerung, also die unmittelbaren Nachbarn des KKW, wie so oft, dem Projekt des Baus eines Kernkraftwerkes zustimmten, weil sie sich die seitens des Betreibers versprochenen Arbeitsplätze erhofften, mit den üblichen Zerealien gelockt wurden (Schwimmbäder, Bürgerhäuser und so weiter hatten seinerzeit Konjunktur), regte sich anderswo und auch in Whyl selbst, der Widerstand gegen ein Projekt, dessen Gefahr ja bekanntlich sehr, sehr weit über den Rand eines bis dahin unbekannten Dorfes hinausstrahlen würde, und zwar im Wortsinne.
Der seinerzeitige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Lothar Späth (CDU), hatte das Projekt von seinem Vorgänger, dem ehemaligen Nazi-Richter Hans Filbinger, übernommen. Filbinger hatte 1975 verkündet, ohne den Bau von KKW würden in Baden-Württemberg „die Lichter ausgehen“. 1983 erklärte Späth, das KKW werde frühestens ab 1993 gebraucht, danach verlängerte er das Moratorium bereits vier Jahre später bis in das Jahr 2000.
Begleitet von Rechtstreitigkeiten leisteten immer mehr Menschen am geplanten Bauplatz friedlichen Widerstand. An anderen Orten eskalierte die Staatsgewalt (Brokdorf, Grohnde – europaweit, und mit äußerster Brutalität der durchgesetzte „Schnelle Brüter“ in Malville, Frankreich). Mit aller polizeilichen Macht und Gewalt sollten gegen jeden Protest, KKW erzwungen werden.
Obwohl die KKW Betreiber seinerzeit alle rechtlichen Hürden nahmen, das KKW also hätte gebaut werden können, entschied sich die Landesregierung dafür, den Bau auszusetzen. Der Bau war politisch nicht durchsetzbar.
Über die Jahre sank die Akzeptanz für den Bau neuer KKW auch innerhalb der politisch verantwortlichen Regierungen. Neben den politischen Auseinandersetzungen „auf der Straße“, bewies die betreibende Industrie ihre komplette und desaströse Unfähigkeit, diese lebensbedrohende Technologie zu beherrschen. Aber nicht nur das. Begleiterscheinung dieser Technologie ließen und lassen ein erhebliches Maß an krimineller Energie erkennen. So kamen alle Verantwortlichen der japanischen Reaktorkatastrophe nahezu unbeschadet davon und haben nun begonnen, die radioaktiv verseuchte Brühe in den Pazifik zu kippen.
Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf
Die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK) entschied sich im Februar 1985 für den Standort Wackersdorf, Landkreis Schwandorf, Oberpfalz/Bayern. Auch hier geht es nicht darum, die Geschichte dieses Bauvorhabens zu erzählen. Erwähnt sei jedoch, dass der Bevölkerung das Vorhaben als notwendiger Schritt zur, bekanntlich nach wie vor ungelösten, Entsorgung des Atommülls verkauft wurde. Tunlichst verschwiegen wurden jedoch die militärischen Möglichkeiten (Nuklearwaffen fähiges Material erzeugen), die sich durch den Besitz einer Wiederaufbereitungsanlage ergeben. Der Streit um das iranische Atomprogramm möge als Hinweis dienen.
Sofort regte sich Widerstand in der Region. Die Hoffnung, dünn besiedelte, arbeitsplatzarme Region, ist bereit für die WAA, ging nicht auf. Innerhalb kurzer Zeit fanden Großdemonstrationen gegen diesen Plan mit 50.- 100.000 Menschen, überwiegend aus der Region, statt.
Massive Polizeieinsätze und Hüttendorfräumung eskalierten die Lage, die mittelbar zum Tod des Demonstranten Alois Sonnleitner, mutmaßlich durch das, erstmals von der Polizei eingesetzte Giftgas CS, führte. Der enthemmte Polizeieinsatz, bei dem über 400 Personen verletzt wurden und der bundesweit für Aufsehen sorgte, führte zum Rücktritt des Polizeipräsidenten der Oberpfalz, Hermann Friker, aber nicht, weil dieser Einsatz völlig unverhältnismäßig war, sondern weil der CSU-Landesregierung dessen Vorgehen zu „lasch“ war. In der Folge quittierten über 100 Polizisten den Dienst.
In Wackersdorf endete das nach dem „Spiegel“ vom 24.4.1989 so: „So wird die Entscheidung über den Weiterbau der WAA nicht vor dem Herbst fallen. Die Drohung der Münchner mit Baustopp verfängt nicht. Streibls Juristen fanden schnell heraus, dass hierfür nicht Bayern, sondern Bonn zuständig ist. Im Sommer geht allerdings auf dem WAA-Baugelände die Arbeit aus. Dann wird die zweite Teilerrichtungsgenehmigung für das Hauptgebäude fällig. Solange aber die Franzosen eine Alternative zum Wackersdorfer Projekt bieten, sind die Bayern nicht bereit, eine solche Genehmigung zu geben. Das wäre dann der Baustopp auf Umwegen – und zwar für immer. Denn wenn in Wackersdorf erst mal die Arbeit ruht, wagt Streibl nicht mehr, sie wieder in Gang zu setzen.“
Streibl beerbte Franz J. Strauß als Ministerpräsident nach dessen Tod 1988 und verlor seinen Posten 1993 im Zuge der „Amigo-Affäre“.
Die Industrie hatte sich, angesichts der anhaltenden, zunehmend durch die bayerische (CSU-) Staatsregierung brutalisierte, Auseinandersetzung um Alternativen bemüht (Frankreich La Hague und Sellafield, England, die bekanntlich radioaktive Dreckschleudern erster Güte waren/sind). Die Industrie hatte erkannt, dass die WAA in Wackersdorf politisch nicht durchsetzbar sein würde. Erkenntnis, die den Betonköpfen der CSU versagt blieb. Der HERR ließ kein Hirn statt Manna auf CSU-Köpfe regnen …
„… politisch nicht durchsetzbar …“
Die WAA-Planung am Standort Wackersdorf hatte ein Vorspiel. Der Niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht beabsichtigte das Land zum Atomklo Deutschlands zu machen. Neben der sogenannten Endlagerung in Gorleben, sollte auch die WAA in Niedersachsen errichtet werden. Im Frühjahr 1979 setzten sich über 100.000 Menschen im sogenannten Gorleben Treck in Bewegung und rollten nach Hannover. Albrecht ruderte zurück und erklärte, die WAA sei in Niedersachsen „politisch nicht durchsetzbar“ (Bayern übernahm), an Gorleben als „End“lager hielt er fest. Hätte er damals nur die ganze Geschichte begriffen.
Aber: „politisch nicht durchsetzbar“, klingt das nicht wie Musik in euren Ohren, die ihr heutige Auseinandersetzungen beobachtet?
Stattdessen, formaljuristisches Geschwurbel zur „Legitimation“ unsinniger und unerwünschter, reaktionärer Baumaßnahmen. Die GRÜNEN Verantwortungsträger*innen scheinen vollkommen den Kompass bei der Bearbeitung von Widerstand und Opposition verloren zu haben (S 21, A 49) und lassen jegliche Sensibilität vermissen. Sie können sich schlicht nicht vorstellen, dass es Menschen, und nicht nur junge und sehr junge, gibt, die jedwede Maßnahme die den Klimawandel fördert, für nicht weniger bedrohlich halten, wie wir damals und bis heute, die Gefahr der radioaktiven Verseuchung des Planeten.
Man mag darüber streiten, ob der Weiterbau dieser Autobahn A 49 entscheidend zur Bedrohung des Weltklimas beiträgt. Man kann jedoch nicht darüber streiten, dass der Ausbau dieser Straße es nicht Wert ist, Leben und Gesundheit dieser jungen Protestler*innen in Folge des unbedingten staatlichen Durchsetzungswillens zu bedrohen und zu gefährden. Sie ist es nicht.
Diese Autobahn ist politisch, zumal für GRÜNE in einer Regierung, nicht durchsetzbar.